Vor einier Zeit habe ich einen Artikel des Musikers und Dichters Daniel Kahn aus dem Englischen übersetzt. In dem Artikel befasste Kahn sich mit dem jiddischen Lyriker Avrom Sutzkever. Zunächst auf Babelsprech.org veröffentlicht (Original auf Asymptote), äußerte Konstantin Kaiser von der Wiener Zeitung Zwischenwelt (Theodor Kramer Gesellschaft) Interesse an einem Abdruck der Übersetzung. Für diesen Artikel habe ich den Text von Sutzkever ins Deutsche übertragen. Folgend erst die Jiddische Version, dann die Umschrift mit lateinischen Buchstaben, schließlich meine Übersetzung.
?װי אַזױ
װי אזױ און מיט װאָס װעסטו פֿילן
?דײַן בעכער אין טאָג פֿון באַפֿרײַונג
ביסטו גרײט אין דײַן פֿרײד צו דאַרפֿילן
?דײַן פֿאַרגאַנגענהײַטס פֿינסטערע שרײַונג
װו עס גליװערן שאַרבנס פֿון טעג
?אין אַ תהום אָן אַ גרונט, אָן אַ דעק?
דו װעסט זוכן אַ שליסל צו פּאַסן
.פֿאַר דײַנע פֿאַרהאַקטע שלעסער
װי ברױט װעסטו בײַסן די גאַסן
.און טראַכטן׃ דער פֿריער איז בעסער
און די צײַט װעט דיך עקבערן שטיל
.װי אין פֿױסט אַ געפֿאַנגענע גריל
און ס׳װעט זײַן דײַן זכּרון געגליכן
.צו אַן אַלטער פֿאַרשאָטענער שטאָט
און דײַן דרױסיקער בליק װעט דאָרט קריכן
– – װי אַ קראָט, װי אַ קראָט
אין װילנער געטאָ ,14.2.1943
Vi Azoy?
Fun Avrom Sutzkever
vi azoy un mit vos vestu filn
dayn bekher in tog fun bafrayung?
Bistu greyt in dayn freyd tsu darfiln
dayn fargangenheits finstere shrayung?
Vu es glivern sharbns fun teg
in a tom on a grunt, on a dek?
Du vest zukhn a shlisl tsu pasn
far dayne farhakte shleser
vi broyt vestu baysn di gasn
un trakhtn: der frier iz beser
un di tsayt vet dikh ekbern shtil
vi in foyst a gefangene gril
un s’vet zayn dayn zikorn geglikhn
tsu an alter farshotener shtot
un dayn droysiker blik vet dort krikhn
vi a krot, vi a krot – –
in Vilner geto, 14.2.1943
Wie also
Wie und mit was wirst du füllen
deinen Becher am Tag der Befreiung?
Bist du bereit beim Freudengebrüll
zu hören das Echo der Schreie?
Wo Scherben funkeln von Tagen
In Gräben ohne Boden, ohne Dach?
Du wirst Schlüssel suchen passend
für deine verrosteten Schlösser.
Wie Brot wirst du beißen die Gassen
Und denken: früher war es besser.
Und Zeit wird stumm an dir nagen
Wie eine Grille gefangen in der Faust
Deine Erinnerung wird man vergleichen
mit einem alten, erloschenen Dorf.
Und deine Augen werden dort schleichen
Wie ein Maulwurf, wie ein Maulwurf – –
Wilnaer Ghetto, 14.2.1943