Ich habe mich in einer Art Antwort auf ein Gedicht von Sarah Kirsch versucht. Es ist noch nicht fertig, daher sind Kommentare, Kritik und Bearbeitungshilfen erwünscht.
Im Folgenden steht zunächst Sarah Kirschs Gedicht und dann meins.
Don Juan kommt am Vormittag
Don Juan kommt am Vormittag
So schrieb er im Telegramm was
Mich nachdenken ließ ich hatte den Mond
Eingeplant und Fontänen nun blieb
Nicht viel Zeit nicht mal die Augen
Größer malen die Füße nicht waschen
Ich stand wo sie anfängt die Stadt sah ihn
Im wehenden Mantel auf einem Rennrad
Den weißen Schal von der Schulter flattern
Herannahn die Lippen zersprungen und tief
Lagen die Augen ich fragte ihn
Weshalb er so früh sei sicher später
Ein Rendezvous mit einer Schönheit
Achwasdummheit er stellte das Rad
Schräg in die Luft er nahm den Hut ab
Legte uns beide ins Gras das rings
Üppig zu werden begann zog Vögel
Aus Metall auf die fingen zu singen
An daß es schallte Variationen
Über ein Thema von Mozart ich kenn das
Sagte er und alle Platten-
Spielersysteme Schönberg und
Ich werde dich jetzt das wird aber gut sein.
Sarah Kirsch
Don Juan nur nachts
Don Juan lässt kommen
Nachts und ihm bleibt keine Zeit
Für Gedanken oder Telegramme
Den Mond plant er ein und auch so
Ungemalt und gewaschen nimmt kein
Don Juan die bloße nackte Frau
Sondern nur wer sich sonst in
Seinem Mantel verbirgt sein Nahen
Auf dem Rennrad am Rande
Der Stadt sein weißer Schal
Sprechen da eine andere Sprache
Du schaust und seine Augen sind tief
Und die Lippen zersprungen nein
Juan fragt schon lange nicht mehr
Nach Variationen die aufgezogenen
Vögel nur als letzter Versuch um das
Thema nicht zu hören sein schräges Rad
Sein bloßer Kopf im Niederlegen
Und bitte nicht zu fest
Flüstert er dir hör genau hin
Keine Schönheit so ungeschminkt
Hinterlässt ihn so schräg in der Luft wie du
Er wird dich dennoch das wird aber gut sein.
(entschuldige, dass erst jetzt und hier:)
dein neuversponnenes gefällt mir sehr sehr gut, gerade wie es mit dem anlasstext umgeht.
denn was du da an bitterkeit und entlarvung rauspresst war ja vorher auch schon drin, nur dass bei der kirsch ein paar drahtvögel und ein wehender mantel dem eigentlich die schau stehlen, während die stimme so seltsam abwesend und dezentriert bleibt. ein bisschen möchte man da ja stellvertretend das lyrische ich no.1 anrunzeln oder schütteln für seine ganze nachdenklichkeit und lauchmäßigkeit und in der hinsicht tust du beiden gut: der hingelegten, verschrägten frau, der du eigentlich erst zu ernstzunehmendem figurendasein verhilfst, aber mehr eigentlich noch der erzählerstimme, die bei sarah kirsch immer auf schmalen graten wandelt, mit hundert meter drolliger weiblichkeit zu beiden seiten. und auch hier zeigst du dann wieder, dass da mehr drinsteckt, wenn man es ernst nimmt. also: super, das ist allerbeste poetische archäologie. könnte ich mir auch als projekt so in serie vorstellen.
von mir halb Zustimmung, halb Widerspruch!
Das Projekt an sich ist sehr produktiv, es führt zu multiplen Lektüren: Nicht nur dein Text ist ein doppelter (eigenständig und als Replik), sondern auch Kirschs Text liest sich mehrfach: eigenständig, durch die Stimme deines Textes und durch die Stimme beider Texte. Hier nimmt man sich gegenseitig beim Wort und das hat tatsächlich etwas Archäologisches, das zwischen Rekonstruktion, Dekonstruktion und wiederum Konstruktion hin- und hergleitet und so das Unfassbar-Fassbare des Inhalts in beide Richtungen potenziert. Überhaupt gefällt mir dein Text besser (v.a. die ersten 2/3) als die Vorlage: Er ist mutiger, präziser, provokativer und vielschichtiger.
Das Problem, das ich habe, beginnt folglich schon vor der Lektüre deines Textes bei Sarah Kirsch. So feinfühlig ich viele Texte von ihr finde, so oberflächlich finde ich diesen hier. Es beginnt beim Titel. Nehmen wir die Stimme der Erzählerin ernst, verheißt „Don Juan“ etwas Bekanntes (das Buch der Liebesliteratur mit Männlichkeits-Stempel öffnet sich) und „kommt am Vormittag“ etwas Neues, die Perspektive des Textes, das einzulösende Rätsel, den produktiven Umgang mit dem „Stoff“. Kehren wir dieses Schema aber um (und nehmen den Titel vielleicht umso ernster), wird bereits hier, in der Engführung von „Don Juan“ und „kommen“, das immer geheimnisvolle, so nicht verbalisierbare „Sex! Sex! Sex!“ der Don-Juan-Erzählung reflektierbar. Ohne jetzt das ganze Gedicht durchgehen zu müssen, schlägt diese Beobachtung bis zum letzten Vers einen Bogen: „ich werde dich jetzt und das wird aber gut sein“ folgt im Weglassen von ficken/vögeln etc. mehr einem prüden Diskurs als einer neu dimensionierten Don-Juan-Erzählung, und die Tatsache, dass es verbalisiert noch schlimmer wäre, bestätigt das mehr, als dass es das widerlegt. Alles, was die Sprache hier macht, weist darauf hin, dass ausschließlich das, was nicht zur Sprache gebracht wird, das ist, was einzig interessieren kann. Der Text entwirft eine „Stimmung“, in der sich die Imagination dann entfalten kann. Die mag meinetwegen schön oder „prickelnd“ sein – das Gedicht hat aber wenig dazu beigetragen, dass das Imaginierte etwas Anderes wäre als die Reproduktion der immergleichen Don-Juan-Erzählung, nur aus einem anderen Mund vorgetragen – „Don Juan by Sarah Kirsch“ sozusagen.
Umso spannender finde ich dann natürlich das Projekt, das ständig Abwesende beim Wort zu packen, neu zu thematisieren, schreibend zu lesen. Das geht mir dann aber an einigen Stellen zu wenig weit: Warum die formale Begrenzung (gleich viel Zeilen)? Warum bleibt es bis zum Schluss bei der einfachen inhaltlichen Inversion? Denn was du neben der inhaltlichen Neuausrichtung ja auch machst, wenn du eine Replik schreibst, ist, das Sprechen über die Don-Juan-Erzählung an sich zu thematisieren (siehe Titel!), doch bleibt mir dieser Aspekt die ganze Zeit über ein wenig zu sehr im Offbeat.
Drum nochmal: Das Projekt ist toll, und dein Text gefällt mir sehr gut – wenngleich ich glaube, dass da noch mehr drin liegt. Vielleicht ließen sich vier, fünf solcher Repliken versuchen, um dann noch mal mit neuen Augen auf die neue Sarah Kirsch zu schauen. Ich will unbedingt mehr davon lesen.
erst wollte ich nur schreiben, dass die frau in deinem text neben ungemalt auch un bzw -gewaschen sein könnte.
jetzt möchte ich mich zusätzlich tristans meinung anschließen: da ist noch was drin. vielleicht ließe sich das ende zum beispiel kippen?
mich interessiert, wie es weitergeht damit!