schwankende stunden
als hätte einer
meine decke verschifft
im herbstblattmassaker die straßen
waren noch nie so überflutet
ich kaufe in läden
kuchen und salzfisch
die ganze helligkeit ist
zu früh für den abend
der in briefkästen wartet
man hängt in einem treibnetz
die hände an der kaffeetasse
meiner dunkelheit to go
hat die einführung der kategorie berlin was programmatisches?
Das gefällt mir sehrsehr. Es hinterlässt einen Kloß im Hals und ein Kopfnicken.
Die Stimmung erinnert mich irgendwie an die „Ballade vom Ende des Tages“.. die ich ja auch sehr mochte.
Das einzige was mich etwas irritiert sind die verschiedenen Bildwelten.
Irgendwie bin ich im Zimmer/Bett, auf dem Meer, in der Stadt – oder sind da Referenzen die ich nicht sehe?
@ alex: na tel-aviv konnte ich ja nicht mehr nehmen. und ohne kategorie wollte ichs auch nicht lassen. alles nicht program- sondern rein pragmatische gründe.
@ nele: ich versuche meine realität mit der assoziation meer zu verbinden (blätterflut, salzfisch, treibnetz). der dreh und angelpunkt ist mir dabei „decke verschifft“ als Andeutung der Bewegung. Herbst, Meer, Weite und verloren sein. Aber das Problem, was du anspricht, sehe ich auch. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die Tag/Nacht-thematik und die Meerthematik nicht zu viel für so ein kurzes Gedicht werden.
Und dann noch das Herbstblattmassaker, was ich einfach nicht rausnehmen wollte (ich dachte lange zeit über einen satz wie „die migration der blätter auf den straßenbelag“ oder so nach… aber das hätte wiederum eine politische Dimension eingefügt, die ich der ganzen Schiffsthematik diesmal nicht geben wollte).
ach so, der alternative satz war „die migration der blätter auf den bürgersteig“ – von wegen politischer dimension ;)
Ich finde, die Ineinanderwebung von Herbst und Meer, bzw. dieses Herbst-wie-Meer-Erleben funktioniert sehr sehr gut! Unter anderem auch deshalb, weil du die Straßen nicht explizit mit Blättern überflutest, sondern diesen Zusammenhang nur dadurch schaffst, dass die beiden Bilder direkt hintereinander stehen, nicht aber durch einen grammatikalischen Zusammenhang. Dadurch hat das Meer quasi eine Eingangstür ins Gedicht, es kann die Straßen fluten – natürlich ist die eigentliche Ankündigung schon die verschiffte Decke vorher, aber an dieser Stelle funktioniert es einfach außergewöhnlich gut.
In der dritten Strophe ist die Verknüpfung dann nicht ganz so fest, aber die Bilder widersprechen sich auch nicht, vielmehr wird die Stimmung dadurch unterstrichen: Es wird Abend, die Gedanken werden eher Bruchstücke, assoziativ und ungeordnet, die Kaffeetasse (die ja irgendwie auch ein Versuch ist, sich gegen Müdigkeit zu helfen) bleibt als ziemlich labile Haltemöglichkeit, es ist fast so ein Gefühl von Fallen – großartig, dass es dann mit „to go“ endet! Das kann man natürlich als resignativen Abschluss lesen, als Rahmen um die Dunkelheit herum, aber wörtlich genommen ist es dann eben das genaue Gegenteil und hinterlässt einen auf keinen Fall in so einer unproduktiv-depressiven Herbststimmung. Gefällt mir richtig richtig gut!
Was ich aber nicht richtig verstehe: Warum ist dieser Tag ohne Poesie? Das steht ja nun doch im krassen Gegensatz dazu, dass gerade dieser Tag Thema und Inhalt eines Gedichts geworden ist und eröffnet für mich eigentlich keine weitere Sinnebene. Überlese ich da was? Und warum sind es „halbe Biere“? Damit kann ich irgendwie auch nichts anfangen, weil ich es mir nur schwer vorstellen kann. Vielleicht wäre an dieser Stelle etwas weniger Sprachverspieltes (wenn man das so nennen kann, was ich meine ist schlicht: etwas simpleres, und wenn es nur Bier statt halbem Bier ist) sinnvoll, es reißt mich da nämlich ein bisschen aus dem Lesefluss und gibt mir dann aber irgendwie keine Erklärung dafür, warum es das tut. Und was ich beim Lesen eigentlich so großartig finde, ist, dass der Text überhaupt nicht versucht, mit spektakulären Neologismen oder abgehobenen Bildern zu punkten, sondern einfach stimmig ist – funktioniert.
Muss Lea doppelt beipflichten: Zweiter Vers bis Schluss sind in jederlei Hinsicht rund; man spürt langsam richtig deine Erfahrenheit im Texten. Umso mehr stört micht der Titel/erster Vers, und zwar aus dem simplen Grund, dass er durch die poetologische Selbstbezüglichkeit dicker aufträgt, als er müsste, und dem Text so etwas von seiner Unbefangenheit nimmt.
kann mich lea und alex nur anschliessen, besonders in bezug auf den titel. und die bescheidenheit ist wirklich das ganz ganz schoene an dem text.
Aber: bitte nicht den ersten Vers einfach ersatzlos streichen! Vor dem „als“ muss meinem Gefühl nach schon unbedingt eine Einleitung stehen, sonst läuft man Gefahr, es als temporale Konjunktion zu lesen und stolpert dann direkt am Anfang.
all right. habt vielen dank für die kritik. hab das jetzt mal probiert aufzunehmen. was denkt ihr?
Titel und ersten Vers finde ich jetzt viel, viel besser! „schwankende stunden“ ist eine tolle Aufnahme der Meer/Schiffmetaphorik, nicht zu eindeutig und trotzdem nicht zu überlesen. Ist das „man“ am Anfang der letzten Strophe neu? Falls ja, dann gefiel mir das vorher besser. Falls nein, auch ;)