Mail an N. – Variation-

Mail an N. – Variation-

so eine ungesäuerte stimmung
gibt es breit für auf die ohren
autobahn und wüstenrauschen
in den zedern ‚leise zieht‘ das
steht geschrieben trockenzeit
‚durch mein gemüt‘ fast wie die
häuser umgekehrt nach krumen
für das opferfest ‚bloß ohne hefe /
wäre uns genug gewesen‘ diese
stimmung ungesäuert gegen
abend so als wären traditionen
abgebogen kurz vorbeigeschneit
ich trage pumpernickel im gepäck
die kopfhaut bedeckt zum tanzen
unter zedern dort wo ich mich
verheddert habe mit dem text

Werbung
Dieser Beitrag wurde unter Max Czollek, TEXTE abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

21 Antworten zu Mail an N. – Variation-

  1. tristanmarquardt schreibt:

    Was mir bei Leas und deinen so schön gelungenen wie von euren Ortswechseln beeinflussten Texten grad noch mal besonders auffällt, ist, wie sich mit dem qualitativen Fortschritt unserer Texte bei fast allen gleichzeitig wieder erhöhte Subjektivität eingeschlichen hat. Gerade du hattest ja wie ich (und sowieso fast jeder) dein Dichten mit dem starken persönlichen Ausdruck begonnen, dann die Vorliebe fürs Verfahren entdeckt und kehrst jetzt – um diese Erfahrung reicher – wieder zum ursprünglichen Ausdruckswillen zurück. Für mich stellt sich bei dieser Entwicklung immer mehr die Frage, ob es wirklich so ist – wie von den traditionellen Literaturgeschichtsschreibern stets behauptet -, dass Lyrik und Subjekt untrennbar verbunden sind. Wenn ja, erklärt sich durch die moderne Erfahrung der relativen Beliebigkeit subjektiven Vermögens und Empfindens vielleicht noch mal im Besonderen, wieso Lyrik in der Öffentlichkeit immer weniger rezipiert wird. Und wer wie ich diese Dekonstruktion noch zur Schau trägt, wäre geradezu Katalysator dieses Prozesses. Oder ist es, wie ich hoffe, vielleicht doch anders, und Lyrik wäre in noch dichterer Form als Prosa befähigt, Realität neu und anders zu verhandeln und mögliche neue Perspektiven auf sie zu vermitteln (die einzeln wiederum der relativen Beliebigkeit ausgesetzt sind)? Dann reagierte sprachliche Dekonstruktion geradzu auf diese Erfahrung der relativen Beliebigkeit. Aber wo wäre dann der Ort des subjektiven Ausdrucks? Und warum ist der gerade bei uns wieder so en vogue?

    • rubenmcloop schreibt:

      Es gibt nun einmal nur eine begrenzte Menge Wörter, um Bezüglichkeit herzustellen: ich, du, wir, sie, (eigen)namen. Ohne diese können wir keinen Sinn produzieren, der den logischen Raum mit Inhalt füllen würde (es sei denn, wir widmen uns einer radikalen Dekonstruktion; dann aber um den Preis der Eigenbezüglichkeit, die umso umfassender ist, je erfolgreicher das Mittel angewandt wird).

      Bei deiner Frage nach dem Ausdruck bin ich mir nicht sicher, ob du mit bei deiner Verwendung des „subjektiven“ nicht bereits etwas Voraussetzungsvolles mitschwingt. (ich paraphrasiere:) Du glaubst uns hinter unseren Gedichten erkennen zu können. Da würde ich hinzufügen: für mich ist der Prozess auch ein umgekehrter: ich (er)finde mich in einem Gedicht, was ja auch heißt, ich will(!) mich so schreiben. Lyrik ist eine Art Therapie, eine bewusste Konstruktion und sagt maximal etwas über die Psychologie des/der Schreibenden aus.

      Es ist m.E. wesentlich, der romantischen Verführung zu widerstehen, hinter dem subjektiven Ausdruck, der sich vor allem aus der Verwendung bestimmter Pronomen ableitet, auch die Authentizität des Schreibenden zu vermuten. Lyrik wird (schon traditionell) mehr noch als der Literatur der Raum des persönlichen Ausdrucks zugewiesen. Vielleicht geht es um ein Spiel mit dieser Tatsache. Moderne Lyrik wäre dann der Versuch, sich immer wieder einer Deutung zu entziehen, Verwirrung zu stiften, Ungewohntes zusammenzuführen (um das Prädikat „neu“ würde ich mich ja drücken ;); ich glaube nicht, das die Dekonstruktion als Mittel auch zum Zweck erklärt werden sollte – die Position der Lyrik als persönlicher Ausdruck ist eine objektive, mit der wir arbeiten müssen (wie mit allen anderen Positionen auch, die wir verhandeln). Die Dekonstruktion läuft Gefahr, sich den Teppich unter den eigenen Füßen wegzuziehen: sich dem Sprachmaterial der Gesellschaft zu verweigern ist nicht möglich, weil dann nichts mehr gesagt werden kann, außer „nein“. Die Sprache in ihrem projektiven Charakter bewusst zu halten, ist aber vielleicht die Lehre der Dekonstruktion.

      Ich fasse zusammen: was subjektiv im Text erscheint, kann sehr gut eine Fiktion sein (und ist es wohl immer ein bisschen). Das wird besonders deutlich, wenn zitiert wird (ob nun markiert oder trivial erkennbar, bekannt oder unbekannt, vorgetäuscht oder „real“). Die Frage ist: weiß das Gedicht sich selbst? dann verliert es seine innere Beliebigkeit, weil es sich die Haken quasi selbst in einen Raum schlägt, der von Strukturen durchsetzt ist, an denen es sich dann befestigt. Nach Außen hin aber bleibt das Gedicht (wie alle Gegenstände) beliebig und unerträglich bestimmt zugleich.

  2. unmittelbarst schreibt:

    Zu Alex‘ Frage, warum Subjektivität bei vielen von uns wieder „en vogue“ ist, fällt mir spontan ein: Vielleicht trauen wir uns einfach wieder. Man beginnt (Lyrik) zu schreiben und fühlt, man sei der erste Mensch, der sich selbst und seine Gefühle jemals so ausgedrückt hat. Irgendwann stolpert man über die Einsicht des Gegenteils, und es wird nahezu unmöglich, (subjektiven) Inhalt zu schreiben, ohne sich dabei darüber bewusst zu sein, dass man nur lange vorher gesagtes in abgenutzen Worten wiederholt. Also versucht man die einzige andere Möglichkeit und nimmt sich der Form an.* Zu einem gewissen Grad ist das vielleicht auch eine Flucht – und natürlich eine Weiterentwicklung. Aber vielleicht sind wir ja jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir die Subjektivität neu versuchen können? In einer reflektierteren Art und Weise als zu Beginn, mit mehr Kontrolle darüber, wie wir diese Subjektivität einsetzen.

    Ansonsten würde ich mich dem anschließen, was Max geschrieben hat: Subjektivität in Gedichten kann ja durchaus auch ironisch sein. Ich kann „ich“ schreiben und etwas völlig anderes meinen und dabei damit spielen, dass „ich“ verstanden wird – vor allem von Menschen, die mich kennen. Wir hatten schon einmal eine ähnliche Diskussion über die „Zusammenfassungen“ (einzelne Sätze/Zeilen) an den Enden meiner Gedichte, zu denen ich damals sagte, dass man natürlich auch mit diesem Konklusiven spielen und sich ihm gerade so verweigern kann. Ich erinnere mich allerdings noch gut an Ulfs Kommentar, dass man zwar ironisierte Zusammenfassungen schreiben könne, es seien aber dennoch Zusammenfassungen. Das gilt dann wohl auch für die reformierte Subjektivität in unseren Gedichten: Sie bleibt Subjektivität.

    * Oder gäbe es noch eine dritte (vierte, fünfte…) Möglichkeit?

  3. tristanmarquardt schreibt:

    So sehr ich mit deiner Formulierung der inneren und äußeren Beliebigkeit einverstanden bin – die Unterscheidung zwischen einem fiktiven und realen Ich (dem Autor als Funktion und dem Autor als Mensch) löst das von mir gemeinte Problem nicht. Denn ob ich nun auf gefundene oder erfundene Begebenheiten referiere, die aus der Perspektive eines Ich fokussiert werden, sie werden dem Lesenden so oder so als persönliche und somit als Ausdruck eines wie auch immer gearteten Subjektes vermittelt. Ein möglicher tatsächlicher Erlebnishintergrund spielt, wie du sagst, dafür keine Rolle, da er in seiner Versprachlichung und Neu-Relationierung in Vers, Syntax und Diskurs ohnehin vom gefundenen zum erfundenen wird.

    Durch die Verortung des Beschriebenen in den Bereich des (erfundenen) persönlich Erfahrenen (oder besser: Erfahrbaren) eröffnet sich nun aber beim Lesen des Textes ein offensichtliches Strukturangebot: Die persönliche Sicht des Ich im Text läßt sich auf die persönliche Sicht des eigenen Ich beziehen, zwei Welten begegnen sich. Das ist der Punkt, den ich meinte: Jenachdem ob und was für Berührungspunkte es zwischen den beiden Welten gibt, entscheidet sich, wie der Text aufgenommen wird und was er im Bezug auf die eigene Welt zu bedeuten vermag. Und weil die Lesenden unterschiedliche sind, stellt sich zwingendermaßen das ein, was du mit äußerer Beliebigkeit meintest.

    Nur ist jetzt die Frage (und das war auch meine ursprüngliche): Wie geht man damit um? Wählt man den (erfundenen) subjektiven Ausdruck, nimmt man die Beliebigkeit der Rezeption hin (diese Position bezog Linus am letzten Mittwoch) und setzt sich zudem der unvermeidbaren Gefahr aus, dass bei vielen Rezipienten reales und fiktives Ich permanent verwechselt werden (insb. bei deinem Thema der jüdischen Identität). Wählt man ihn nicht, bleibt m.E. nach der Dekonstruktion, die als solche natürlich nur Mittel zum Zweck sein kann, immer noch die Möglichkeit der Rekonstruktion von Welt, die zwar ihre Beliebigkeit demonstriert und reflektiert, aber dennoch als solche rezipiert werden kann (wobei Linus‘ Vorwurf, dass ein solches Vorhaben immer schon akademisch ist und deshalb außerhalb dieser Diskussion kaum rezipiert würde, durchaus seine Richtigkeit hat). An einer dritten Variante der Kombination beider vorigen bastelt von uns ja immer wieder mal jemand; mal schauen, ob sich das vielleicht als die spannendste Option herausstellen wird.

  4. tristanmarquardt schreibt:

    letzter Kommentar nimmt nur auf Max‘ Antwort Bezug, hab Leas Text da noch nicht gesehen…

  5. rubenmcloop schreibt:

    Lieber Alex, danke dir für deine Antwort (auch an Leah, deren Artikel später kam und früher datiert ist; was für ein Musterbeispiel für „Realität“!). Ich will unseren erquickenden Austausch etwas fortführen: was Alex aus meinen Bemerkungen zu seinem Text aufgegriffen hat, waren die Dinge, die in Bezug zu seinem Text standen. Ich finde das spannend, weil es genau diesen Prozess der selektiven Aneignung von Wirklichkeit (Textlich und anders) gut veranschaulicht. Wenn ich jetzt versuche, zu schreiben, was ich außerdem sagen wollte, dann vertraue ich in die Sprache und deinem interpretierendem Bewusstsein als einem offenen responsiv-dynamischen System. Mit dieser Grundannahme ist die Begegnung zwischen zwei Welten, zwischen Subjekt und Umwelt, Schreibendem und Papier, Gedicht und Lesendem, (potentiell) eine kreative. Damit bin ich schon, ohne dass ich es beabsichtigt hätte, im Thema – die Sprache macht meine Argumentation ;)
    Es ging mir darum festzuhalten, dass es bei einem Gedicht auch auf die Beziehung Verfasser_in-Text ankommt und erst in einem zweiten Schritt auf die Beziehung Text-Rezipient_in. Mit „unerträglich bestimmt“ meinte ich den eigenen Colasirup, in der wir uns verdammt-noch-einmal selbst zersetzen und mit Kreativität unsere Möglichkeit, sich in ein unbestimmtes (aber nicht beliebiges!) Verhältnis zum Text zu setzen. [Was die äußere Beliebigkeit angeht, frage ich mich allerdings gerade, was denn nicht-beliebigkeit sein sollte und ob so eine Situation überhaupt vorstellbar ist. Vielleicht hat jemand der Rezipient_innen eine Idee??]
    Ich tendiere gerade dazu, in der Bestimmtheit des Einzelnen und der Unbestimmtheit der Interpretiation eine Grundlage auszumachen, die bei mir (und ich würde sagen auch bei Alex) axiomatisch ist. [Nebenbemerkung: auch die Dekonstruktion scheint mir diesem Antagonismus nicht zu entkommen; nicht nur, weil sie akademisch ist, sondern weil zwischen Text und Materialismus ein Abhang klafft, der von Poststrukturalist_innen tendentiell misachtet wird.] Nun findet aber zwischen Verfasser_in-Text und Text-Rezipient_in etwas statt, was innerhalb der jetzt schon häufiger angeklungenen sowohl-als-auch Position liegen muss (mein Vorschlag): wir reagieren nicht beliebig, sondern kreativ. Es ist nicht egal, welcher Text mich trifft, aber der Text bestimmt nicht inhaltlich meine Reaktion. Ich könnte von einer „formalen Bestimmtheit“ eines Textes sprechen.

    Was ich auch sagen will: ich bin mir nicht sicher, ob ich die selben Fragen stellen würde, wie Alex. Ich frage mich, ob dabei implizit nicht etwas gefordert wird (Verständnis, Revolution, Eindeutigkeit), was von unseren Grundannahmen ausgehend in Widersprüchelichkeit führt. Es scheint mir die Situation des Gedichtes noch gar nicht richtig umschrieben, wenn man das Gedicht nur dem Rezipierenden gegenüberstellt und zwischen diesen zwei Einheiten zu vermitteln sucht. Wo fände ich die zwei Einheiten jemals einzeln vor? Ferner wünsche ich mir, bei der Diskussion über die Lyrik auch den Prozess des Schreibens näher zu betrachten, da an dieser Stelle in meinen Augen ziemlich merk-würdige Dinge geschehen (woher kommt es, dass wir die Wirkung eines Textes nur in die eine Richtung, auf dessen Rezeption hin denken, und nicht in Bezug auf dessen Erzeugung?):
    Was ist mein Bezug zum eigenen Text? – Mit der Diskussion dieser Frage wüssten wir vielleicht ein wenig mehr über die Dinge zu sagen, die wir hoffen und wünschen können in Bezug auf die Wirkung unserer Lyrik.

  6. tristanmarquardt schreibt:

    wow, jetzt ist die Sauce ordentlich gepfeffert :)

    Zunächst ein paar Rückfragen:

    – Lea, wäre die von dir beschriebene „reformierte Subjektivität“ der von Max beschriebenen „formalen Bestimmbarkeit“ eines Textes geschuldet?

    – Max, was genau willst du damit sagen: „Wenn ich jetzt versuche, zu schreiben, was ich außerdem sagen wollte, dann vertraue ich in die Sprache und deinem interpretierendem Bewusstsein als einem offenen responsiv-dynamischen System. Mit dieser Grundannahme ist die Begegnung zwischen zwei Welten, zwischen Subjekt und Umwelt, Schreibendem und Papier, Gedicht und Lesendem, (potentiell) eine kreative.“? Bitte korrigiere mich, wenn ich dich falsch verstehen, aber: Meinst du mit dem „Vertrauen in die Sprache“ nicht eigentlich ein „Vertrauen in die Möglichkeit sprachlicher Verständigung“, das, weil nur Möglichkeit, geradezu ein Misstrauen in Sprache wäre? Denn ansonsten formulierst du hier insb. in der Koppelung an das „interpretierende Bewusstsein“ straighte Hermeneutik, und was ich daran problematisch finde, muss ich dir, glaube ich, nicht erklären.

    – Inwiefern verstehst du „kreativ“ im Gegensatz zu „beliebig“? Denn das was wir doch beide meinen, ist, dass ein Text durchaus ein Strukturangebot hat (an Verständnispotential, emotionales Potential etc.), was davon beim Lesen aktualisiert wird bzw. was überhaupt als Struktur verstanden wird, liegt nicht nur am Text, sondern auch am Leser. Wenn du dich gegen „x-beliebig“ wehrst, stimme ich dir voll und ganz zu; ich wollte vorher nicht „kontingent“ sagen, um nicht zu viel in Fremdwörtern zu sprechen, aber letztlich trifft es das genauer („so, aber auch anders möglich“) und wäre dann doch kaum anders als das, was du mit „kreativ“ meinst, oder?

    – Bezeichnet „Wirkung“ nicht per definitionem den Akt bzw. die Akte der Rezeption und damit immer das Verhältnis von Leser und Text? Was du für ein Verhältnis zu deinem Text hast, kann doch dabei keine Rolle spielen, sondern einzig und allein für die Textentstehung! Der Prozess des Schreibens kann Wirkung anlegen, ist aber doch nicht Teil davon, oder?

    Ich glaube, erst wenn diese Frage geklärt sind, kann ich adäquat darauf eingehen, warum m.E. die „formale Bestimmbarkeit“ des einzelnen Schreibens oder Lesens in einer „reformierten Subjektivität“ nicht nur, wie du ja auch sagst, mit Kontingenz korreliert (was wirklich etwas Anderes als Beliebigkeit ist; entschuldige Mäx, ich hätte die Bezeichnung schon früher gebrauchen sollen), sondern ihr in ihrer heutigen zeitgeschichtlichen Verortung geradezu ausgeliefert ist. Von wo dann, wenn das Ganze unreflektiert geschieht, der Weg relativ schnell zur Privatlyrik führt…

    …au, au, jetzt geht’s aber richtig los…

  7. linuswestheuser schreibt:

    eure diskussion ist mir genauso vertraut wie sie mir seltsam erscheint. ohne es genauer erläutern zu können, habe ich das gefühl, dass ihr dem feld der lyrischen produktion etwas fahrlässig wissenschaftliche prosa überstülpt.

    ihr müsst mir also verzeihen, wenn ich etwas abschweife. ich denke nämlich gerade an das zitat von william carlos williams, ein gedicht sei „eine kleine maschine aus worten“. das ist die dimension, in der sich mir die frage erschliesst. ‚ich‘ und ‚du‘ sind rädchen eines getriebes, das sich einfügt in eine ganze reihe anderer getriebe, von der alltäglichen herstellung von subjektivität zum literaturmarkt, zu meiner libido. jede verbindung des einen getriebes mit dem anderen hat dabei einen eigenen charakter (‚ich‘ und ‚hitler‘ sagen ist gut für den markt, ‚ich‘ und ‚traurig‘ gut für die identität, etc.).

    wichtig ist dabei aber doch nur, an welcher stelle ein andockpunkt besteht, also wo ein strom weitergegeben wird und vor allem in welche richtung das geht. was ich damit meine, ist, dass nicht der bauplan einer ich-du-maschine (im sinne einer sekundären, neuen oder reformierten subjektivität) entscheidend ist, sondern die geknetete wortmasse zwischen den bolzen und durch welche risse sie rausquillt.
    der drang, lyrisches ich und autor zu vereinen ist ein problem des therapeutischen diskurses, nicht der lyrik. es ist keine frage der poetologie, ob ich mich schäme in einem text das wort hodensack zu benutzen, unter dem später mein name steht.

    wenn ich das grob sagen kann, sicher als unzulängliches zitat, vermutlich von deleuze, dann geht es darum, etwas festes zum abheben zu bringen, oder sich in die büsche zu schlagen, bunte knete, irgendein brainfuck, oder eben die axt fürs gefrorene meer in uns.
    syntax- und bezugsdekonstruktion ist dabei eine technik, die ebenso viel spaß macht, wie das ganze spiel mit ich und du, läuft aber wie letzteres immer gefahr, wieder im heimischen nestchen zu landen, nur eben einem akademischen und nicht einem kleinbürgerlichen.
    ein strukturangebot ist wie ein sonderangebot: man nimmt es gerne mit, aber eigentlich war man auf der suche nach was ganz anderem und stolterfoht schreibt privatlyrik mit lustigen reimen. da geht was ab, wenn man weiß, was solipsismus ist.

    das problem liegt meiner meinung nach schon darin, dass ihr lyrik und subjektivität (welche auch immer) verabsolutiert, wenn ihr euch auf die suche nach regeln zur kontingenzbeschneidung macht. das konnte ludendorf auch und er konnte es besser. wenn man sich richtigerweise davon löst für den ideelen gesamtproletarier zu schreiben, der tot ist oder einem nicht zuhört, dann sollte man sich auch davon lösen für den germanisten im kopf zu schreiben.
    wann immer es gelingt ein paar zahnräder neu zu verbinden, oder eine maschine zu demolieren, ist es zweitrangig mit welchen mitteln das geschieht. die subversivste npd-verarsche ist immer noch ihre eigene werbung (http://www.youtube.com/watch?v=tRjcKgYPYu0), dasselbe gilt oft für identitäten.

    haut rein, l

  8. tristanmarquardt schreibt:

    Ich glaube, um es mal auf den Punkt zu bringen, dass jetzt jeder von uns mit ziemlich eindrucksvollem theoretischen Überbau begründet hat, warum er so schreibt, wie er schreibt. Zwar ist es natürlich so, dass man hofft, die vollzogene Erkenntnis habe Gültigkeit über das eigene Schreiben hinaus. Aber die eigene Welt kann sich eben nur dort auf eine andere Einlassen, wo gemeinsame Verständigung überhaupt möglich ist; was am einen Ort darüber hinaus geht, existiert am anderen nicht.

    Nun ist die Frage: Wollen wir es dabei belassen (also feststellen, dass meine Ausgangsfrage Relevanz überhaupt nur in meiner Sicht hat) oder wie soll es weitergehen?

  9. rubenmcloop schreibt:

    Puh, eine paar krasse Gewürze habt ihr der Suppe da über Nacht noch einmal beigemischt. Zunächst ein Chapeau für das Niveau oder, wie Linus sagt: die wissenschaftliche Prosa, von der er nach seiner Kritik das glänzendste Beispiel abgibt (und ich wüsste nicht, was schlecht oder gar fahrlässig daran sein sollte). Gut, dass das hier ein Schutzraum für Intellektualismen ist ;)

    Weiter im Text, weil es zwar gut und wichtig ist, sich den eigenen Standpunkt zu vergegenwärtigen, aber letztlich doch nicht von der Notwendigkeit zum Handeln entbindet. vielleicht ist das mit dem Schreiben ähnlich: im Wissen um die Probleme arbeiten wir weiter, weil die sich ja schlechthin immer stellen. STOHOP! Ich habe mir für diesen Beitrag vorgenommen, etwas strukturierter vorzugehen und entschuldige mich für meine konfuse Abhandlung zuvor.

    Also, am Anfang die Frage nach der Wirkung. Mein Argument ist, dass die sich durchaus in vielfacher Richtung denken lässt. Wenn der Text mich wie ich ihn erzeuge und das auch bei dem/der Lesenden geschieht, dann ist die Wirkung mindestens in 2-hoch-2 Fällen analysierbar. Oder anders ausgedrückt: die Tatsache, dass der hermeneutische Zirkel nicht wegzudenken ist aus unserem Bezug zur Welt, bedeutet, dass unsere Sicht immer eine eine nicht-ursprüngliche ist, aber – und das ist die Krux – in ihrer Bedingtheit Wirkung entfaltet. Wir müssten Wirkung als konplex betrachten, ich komme darauf zurück.

    [so, jetzt ist gerade Alex Beitrag reingeflattert und zerschießt mir die ganze Ausführung; das kann doch wohl nicht wahrsein! also ich will jetzt mal was zu den ganzen Abknickern sagen, die eine Diskussion vom Zaun brechen und sie dann beenden wollen: natürlich sind Diskussion immer ein bisschen sinnlos. aber auch schön. Argumentieren ist ein Tanz, sprachlich umso mehr, als wir uns hier ausgusten, inhaltlich auch, weil ich eure Schreibe gern lese, eure gedanklichen Hintergründe mich inspirieren]

    Und genau hier setzt es doch an und endet (vielleicht) gleich wieder, was ich über die Möglichkeit der Verständigung geschrieben habe: Ich nehme an, dass unser Bewusstsein sich in einer zur Welt hin offenen Dynamik entfaltet, dass ich eure Texte lese und die dann mein Bewusstsein be-treffen. Ich habe kein gefrorenes Meer in mir, eure Texte sind mein Regen; dieses Regenwasser mischt sich in der Interaktion mit meinem salzigen. In diesem Sinn meinte ich das mit dem „offenen responsiv-dynamischen System“. Und warum könnte es an dieser Stelle schon wieder enden?: weil Alex vielleicht diese Dynamik der Positionen nicht unterstellt und darum nicht die Aspekte der Veränderung in den Beiträgen sucht, sondern die Aspekte lauten Anlärmens gegen identitäre Mauern. Aus dieser Sicht ist eine Diskussion natürlich nicht mehr als, nach einem Wort Tucholskys, bloßes monologisieren.
    Wobei ich Alex vollkommen zustimme, dass die eigene Absicht niemals im anderen ankommt, sondern nur ein Hall der Brechungen im anderen Innenraum, der immer ein einzigartiger ist, ist. Aber Handlungen versetzen in Schwingung – und ich schwinge ganz gut seit gestern :)
    Was das Ergebnis dieser Schwingung angeht, bin ich froh, dass „Beliebigkeit“ durch „Kontingenz“ ausgetauscht wurde, gleichzeitig weiß ich nicht, ob das reicht. Ich möchte ja gerade sagen, dass Kontingenz sich als solche nur von unserer Perspektive als Schreibende aus ergibt – stimmt ihr mir dabei zu, dann ist es doch eine ziemlich merkwürdige Logik, bei der Wirkung nur nach dem/der Rezipierenden zu fragen, bei der Einschätzung diese Wirkung aber die Perspektive der Verfasser_innen zu unterstellen (weil es ja Kontingenz nur in Bezug auf etwas gibt). Oder sollte es bei dieser Frage um die im Text angelegten Möglichkeiten gehen, die wir als Schreibende ja selbst nur teilweise bewusst in ihrer Vielfältigkeit erzeugt haben.
    Diesen Widerspruch wollte ich aufzeigen.

    Der/die Lesende ließt also einen Text, der eine ungewisse (aber nicht unbegrenzte) Anzahl an Anknüpfungspunkten anbietet. Die Lyrik, so verstehe ich Linus, sollte diese Anknüpfungspunkte bewusst halten; sowohl diskursiv (also ich-Hitler als Beispiel eines Blicks auf verschiedene diskursive Felder) als auch psychologisch (also ich-traurig, was einen Bezug zu einem individuellen diskursiven Feld herstellt), weil sich das eine doch nicht gelöst vom anderen betrachten lässt (oder wie siehst du das, Linus?).
    Ich würde bei Linus Argumentation an diesem Punkt unterstellen, dass er zwar schreibt, die Lyrik und die Subjektivität nicht verabsolutieren zu wollen, es durch die Hintertür aber letztlich doch tut: was sind die Risse, wo ein Gedicht herausquillt, die Andockpunkte des Stroms anderes, als die Kanalisierung der Kontingenz? Oder sollte diese Sache den Subjekten unerschließbar bleiben, was wäre daran dann „wichtig“? Ich will Linus nicht widersprechen, sondern halte seine Punkte für sehr anregend und gerade darum für frag-würdig: Ist das Gedicht denn eine Befreiung, schlagen wir uns wirklich in die Büsche? oder ist das alles nicht schon die Illusio einer persönlichen Kulturindustrie, die uns im System hält, weil es Freiheit vorgauckelt, wo Befreiung angesagt wäre (eine provokative These, sie zeigt aber in die richtige Richtung).

    Ich glaube nicht an die Befreiung durch die Lyrik.

    Linus sagt etwas sehr schönes, wenn er neben dem Proletarier die Germanistin als imaginierten Rezipient_in in uns kritisiert. Hier scheint mir eine Verbindung der eingangs dargelegten Wirkungsdynamiken vom Schreibenden zur Lesenden zu existieren (und damit komme ich zum Schluß). Diese Verbindung ist beidseitig: wir schreiben (wohl immer) mit externen Kriterien im Kopf (z.B. eurer Kritik), gleichzeitig lesen wir Texte auf eine bestimmte weise, wenn wir von ihnen wissen sie sind eine Collage, von Bukowski, von einem Schnösel wie Petersdorff oder von einer Fremdsprachlerin. Es geht dann um Dynamik, nicht um die Verabsolutierung von Positionen, sondern um deren Auflösung. Die Dinge penetrieren das Bewusstsein – über dem Meer regnet es immerzu.

    zum Abschluß ein paar Zeilen:

    die zeit ist ein ozean
    wir liegen am strand
    vielleicht setzt du
    morgen deine segel
    vielleicht ist mein boot
    schon lange abgebrannt

    ich verneige mich und denk an euch!

  10. unmittelbarst schreibt:

    Müssen wir nicht sogar annehmen, dass es anders ist? Ist sonst nicht alles, was ich schreibe, letztlich vollkommen beliebig und nicht für ein Publikum bestimmt, weil es nur für mich Gültigkeit haben kann? Damit will ich nicht sagen, dass es auf keinen Fall so ist; aber: Wie kann ich mit diesem Grundgedanken weiter schreiben? Ich habe ernsthafte Probleme damit, mir Lyrik tatsächlich nur kontingent vorzustellen – genauso ist es aber auch mit dem Gegenteil. Ganz ehrlich: Wenn ich da weiterdenken will, wo eure klugen Gedankengänge aufhören, stoße ich gegen eine Mauer. Ist Kreativität im Bewusstsein ihrer eigenen Totalkontingenz möglich? Muss man nicht immer irgendwo die Resthoffnung haben, etwas „Sinnvolles“, etwas „Bedeutendes“ zu schaffen, wenn man sich nicht auf Ironie als das einzig Wahrheit beinhaltende Element beschränken will?

    Was ich sagen will: Ich glaube, niemand von uns will ehrlicherweise (nur) Privatlyrik schreiben. Habe ich es dann richtig verstanden, dass wir jetzt der Frage nachgehen, wie man mehr als eben das schreibt und sich dabei nicht nur der Form, sondern auch des (subjektiven) Inhalts bedient? Vielleicht können wir nochmal klarstellen, wonach wir eigentlich suchen, wie wir uns das vorstellen, warum wir das wollen und wie es zu erreichen wäre (auch für mich als diejenige, die von uns allen vermutlich am wenigsten Deleuze, Derrida und de Man gelesen hat und deswegen gelegentlich leicht verwirrt ist ;-) ).

  11. unmittelbarst schreibt:

    Das bezog sich natürlich auf Alex‘ letzte Antwort, Max‘ Text hatte ich da noch nicht gesehen… und möchte ihm jetzt gleich mal im Sinne des oben geschriebenen widersprechen: Ich glaube nicht, dass du nicht an „Befreiung“ (wobei die Anführungsstriche heißen sollen: alles, was damit zusammenhängt, Wahrheit, Schönheit, you name it) durch Gedichte glaubst. Würdest du ernsthaft schreiben, wenn du es nicht zumindest ein bisschen tun würdest? (Und das ist eine Frage, die ich mir auch selber stelle.)

  12. rubenmcloop schreibt:

    kurzer Kommentar zu Lea:
    ich stimme dir da vollkommen zu, was die Frage der Ver-, Um- und Bearbeitung von Realität angeht, wie ich sie wahrnehme. Lyrik ist ein Spiegel und ein Vergrößerungsglas, ein bisschen magisch zuweilen, weil es bestimmte Zwänge unterläuft. Was ich meinte ist, dass ich nicht an eine „Befreiung“ als Überwindung von irgendetwas substantiellem glaube. Lyrik ist eine Form, zu der ich mich auf sehr persönliche Art hingezogen fühle. Sie befreit mich nicht, sondern bietet sich mir als Ausdruck meiner ziemlich persönlichen Kreise an.

  13. tristanmarquardt schreibt:

    ich liebe euch und melde mich später!

    (Linus ist noch bis 6 im Spanisch-Kurs, und bis er das alles gelesen hat…ich hab also noch etwas Vorsprung :) )

    (und Mäx: klar will ich weiterdiskutieren – nur war mir wichtig, dass nach dem Finden und Formulieren der eigenen Welt ausdrücklich der Wille bestehen muss, an einer gemeinsamen neuen zu basteln (wow, das klingt doch mal geil), weil sonst die latente Gefahr besteht, Lyrik-Bundestag zu spielen statt Lyrik-Esperanto)

  14. tristanmarquardt schreibt:

    also…da wären wir wieder.

    Worum’s mir in der Folge vor allem geht, ist noch einmal (auch, um im Sinne Leas die Prämissen zu klären) eine genauere Auseinandersetzung mit zwei für mein Verständnis von Literatur sehr zentralen Begriffen, die offensichtlich nach wie vor nicht genug geklärt sind: Strukturangebot und Kontingenz.

    Ziel wäre es, dass der zumindest mal zwischen Max und mir angelegte Konsens als ein erster Baustein einer gemeinsamen Theorie der Wirksamkeit von Lyrik formuliert sei. Ich will dahin Schritt für Schritt kommen, indem ich mich an dem Vielen, das ihr in der Zwischenzeit geschrieben habt, abarbeite.

    Zunächst muss ich mich, wie Max, natürlich gegen Linus‘ Vorwurf der Seltsamkeit wissenschaftlicher Prosa im Bezug auf Lyrik-Beschreibung wehren. Denn deine Alternative, das Ganze programmatisch ins Metaphorische zu wenden, scheint mir im Rahmen dieses Kommentars, wo die Teilnehmer/innen und ihre akademische Verortung geklärt sind, nicht nur die Gefahr zu bergen, eher weniger auszusagen als mehr („dass […] die geknetete wortmasse zwischen den bolzen und durch welche risse sie rausquillt“). Mehr noch: Ein solches Verfahren wendet sich gegen sich selbst, wenn wenig später durch die Hintertür der Ober-Wissenschaftler Deleuze als Instanz eintritt. „Unakademisch“ wird zwar gerade in akademischen Kreisen gerne mit „besser verständlich“ gleichgesetzt, ich glaube aber, dass sich gerade am Fall „beliebig“ vs. „kontingent“ herausgestellt hat, dass eine komplexere Ausdrucksweise manchmal dienlich ist (genauso wie Metaphern manchmal dienlich sind). Um sich darüber schließlich mit Menschen verständigen zu können, deren Sprachcode ein anderer ist, müssen halt die Begriffe vorgängig weniger komplex (bzw. bildlich), aber dafür umso ausführlicher definiert werden. Auch deshalb will ich für uns noch einmal genauer auf „Strukturangebot“ und „Kontingenz“ eingehen. (Was mir an dieser Stelle zudem wichtig ist: Spannende Lyrik schreiben zu können bedingt natürlich nicht, gleichsam wissenschaftliche Prosa zu beherrschen. Weder muss jemand, der mit wissenschaftlicher Prosa gut Lyrik beschreiben kann, deshalb selbst gute Lyrik schreiben, noch muss jemand, der gute Lyrik schreibt, deshalb verstehen, wieso sie spannender wirken kann als andere.)

    Des Weiteren gefällt mir an dem, was das Bild der Wort-Maschine ausdrücken soll, Vieles sehr gut, nur gibt es meiner Ansicht ein großes Problem, das am deutlichsten darin wird, dass du am Schluss über den Zweck eigenen Schreibens sagst: ein paar Zahnräder neu zu verzahnen. Das missachtet, wie Max oben schon einmal richtig gesagt hat, dass es die Wort-Maschine isoliert, d.h. ohne Rezeption (oder auch Produktion), gar nicht gibt. Will sagen: Was überhaupt als Zahnrad, Bolzen, herausquillen etc. wahrgenommen wird, und wie das dann wiederum aussieht, ist in der Maschine angelegt, wird aber erst bei ihrer Betrachtung vollzogen (‚ich‘ und ‚Hitler‘ zu kombinieren, ist vielleicht heute gut für den Markt, morgen aber vielleicht schon nicht mehr). Deshalb müsste man, was das Bild vielleicht aber überstrapaziert, sagen: Das von jeder Rezeption abstrahierte Textgebilde ist die Idee/der Bauplan/die Matrix/die Vision einer Maschine, die/den aber niemand kennt, weil alle Rezipienten sind und je einzeln Maschinen sehen, die zwar äquivalent, aber auch different sind. (Und dass der kleinste gemeinsame Teiler da nicht weiterhilft, ist ja die Lehre aus dem Strukturalismus.)

    Damit bin ich auch schon mitten im Versuch klarzustellen, was ich mit „Kontingenz“ und insb. „Strukturangebot“ meine – auf die Gefahr hin, dass ihr das längst wisst und ich euch langweile (das von Linus unterstellte „Sonderangebot“ ist übrigens höchstens ein Verfahren, das Strukturangebot zu reflektieren, hat mit dem eigentlichen Strukturangebot aber nichts zu tun): Indem die/der Schreibende eine ihm bekannte Welt in eine Text-Welt umformt, kontrolliert er nur einige der Sinn- und Ausdruckspotentiale dieser Welt und das auch nur für eine gewisse Zeit. Ich glaube, das, was Max mit der „Schwingung“ und dem „Regen auf das Meer“ meint, zielt genau in diese Richtung: Auch ich reagiere auf meinen Text kreativ (und zwar wahrscheinlich genau in dem Moment, in dem er beginnt, mir zu gefallen), da er ein Mehr an Potentialen hat, als mir bewusst ist – Text-Welt und Eigenwelt beeinflussen einander. Genau das gleiche passiert nun beim Lesen: Wieder begegnen sich zwei Welten, das Meer verändert sich, der Regen ist ein anderer, als der, den die Wolke ausgesendet hat. Was diese Text-Welt konstituiert, was aber sowohl Schreibende als auch Lesende nur in Teilen sehen/verstehen/fühlen können, das ist das Strukturangebot. Das heisst aber auch: Nicht jede x-beliebige Sicht ist möglich, da nicht x-Beliebiges im Text angelegt ist. Deswegen bleiben die möglichen Sichten zwar kontingent, aber nicht beliebig.

    Ich bin mir nicht sicher, Max, ob wir uns jetzt auch im Bezug auf den Begriff der „Wirkung“ annähern – da leider in dem entsprechenden Absatz syntaktisch etwas schief gelaufen ist und mir nicht klar wird, was du genau sagen willst.

    Letztlich bleibt mir zum letzten Punkt zu sagen: Ich glaube, dass Befreiung durch Lyrik möglich ist (so wie vieles Andere auch), aber wir haben keine Kontrolle darüber.

  15. unmittelbarst schreibt:

    Was unabhängig von allem anderen noch gesagt werden sollte: Ich mag die Mail an N. sehr. Beide Versionen. Danke fürs Teilen!

  16. rubenmcloop schreibt:

    Vielen Dank liebe Lea. Meine Verehrung für dein Gedicht habe ich ja bereits ausgedrückt :)
    In den letzten zwei Tagen hab ich ein Gedicht geschrieben, dass findet ihr unter dem etwas abstrusen Namen „Ludwig Pulfrocks Glick“. Vielleicht trägt das etwas zu unserer Diskussion bei, ganz sicher kann ich das nie sagen…

  17. rubenmcloop schreibt:

    Also: vielen Dank für Alex‘ Versuch der Zusammenführung der verschiedenen Positionen. Ich stimme dem Meisten zu, den Rest schiebe ich auf sprachliche Unklarheiten ;) irgendwie habe ich aber das Gefühl, mein Argument für die Interpretation die Produktion eines Textes zu Betrachten ist noch nicht richtig rezipiert worden (vermutlich, weil es nicht verständlich war). das will ich jetzt noch mal nachholen – nicht, indem ich das eine gegen das andere ausspiele, sondern einfach den Blick einmal auf die Produktionsbedingungen eines Textes richte. Vielleicht ergibt sich ja etwas produktives daraus.
    Ach so: entschuldigt bitte den manifesthaften Sound – man muss sich ja bei Laune halten :) Ich nehme mal an, dass da einige Merkwürdigkeiten drin stecken: der Text soll nicht der Weisheit letzter Schluß sein, sondern flächig zeichnen, was wir dann diskutieren können. dabei zweifel ich selbst, ob nicht bereits der Ansatz so problematisch ist, dass das ganze Experiment scheitert (die Frage hatte Linus auch schon gestellt). Aber jetzt: Viel Spaß!

    Zur Frage der Authentizität

    In der Kunst, besonders innerhalb der Literatur existiert seit längerem einen Diskussion über das Verhältnis von Autor und Text. Einige, eher klassisch orientierte Geister, argumentieren, zwischen den beiden bestehe eine Art einmalige Verbindung, die sich in dem Begriff der Authentizität zusammenfassen ließe. Andere wiederum behaupten das Gegenteil: der Autor sei eine Funktion des Textes. Damit ist genau jene antithetische Auffächerung beschrieben, die für das Feld der Theorien bezeichnend ist. Wenn ich dieser Diskussion nun das Meinige hinzuzufügen wünsche, dann nicht, weil ich an das Neue meiner Gedanken glaube – sicherlich findet sich alles davon bereits woanders; ich möchte aber auf eine Problematik hinweisen, die in der Betrachtungsebene der beiden Kontrapunkte liegt: dem Feld, auf dem sich die Dialektik von Spruch und Widerspruch entfaltet.

    Eine Betrachtung, die sich einem Gegenstand nähert, erklärt diesen zum Objekt der wissenschaftlichen Analyse. Dabei stellt sich der Wissenschaft das Problem, Ursache und Wirkung voneinander zu trennen und zu lokalisieren: der Text ist etwas ganz wunderbares, weil es sich nicht selbst erklärt: seine Wurzeln bleiben so rätselhaft wie seine Wirkung. Nun schlagen verschiedene Theorien einen Haken in den Fels, an dem sie den Text befestigen. Die Authentizität ist so ein Fels und verankert den Text im Autor : sie hebt die Differenz zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem auf, indem sie das eine auf das andere zurückführt: nämlich den Text auf sein Bezeichnendes (den Autor) womit der Text selbst zum Bezeichnetem wird. Da der Text aber weiterhin auch bezeichnend ist, findet die Authentizität den Anfang des hermeneutischen Kreises – wenn nicht explizit, so doch strukturell. In anderer Richtung vertritt die Gegenposition, dass der Autor nicht Schöpfer des Textes sei sondern umgekehrt der Text den Autor schöpfe oder vielmehr: sich durch den Autor selbst schriebe.

    Eine solche Perspektive arbeitet mit dem Gegensatzpaar Text und Autor. Ich will dem Pärchen einen weiteren Begriff beistellen: die Welt (definiert als erfahrbare Umgebung). Führt man diesen Begriff ein und fragt nach seiner Stellung in der Theorie, dann ist folgende Annahme wohl evident: Text und Autor sind nicht nur Teil der Welt, die Welt ist ein Teil von Text und Autor. Die Verbindung zwischen den zwei Teilen ist die Metapher. Eine grundlegende Definition der Metapher wäre: „die Metapher drückt eine Relation aus“. Dabei bedient sie sich aus einer Menge an Eindrücken, die im Realen wurzeln (offensichtlich meine ich damit nicht eine idealistische Konzeption des Eigentlichen, sondern die Vermittlung des Außen durch Raum, Zeit und Perspektive, eben die erfahrbare Umgebung). Die Welt ist voll von solchen Metaphern: räumlich, weil wir uns (ganz gleichgültig auf welche Weise) in Relation zu unserer Umwelt wahrnehmen, dem Baum am Straßenrand, der Klippe, auf der wir stehen, der Ameise im Garten. Für die Stadt, in der ich gegenwärtig wohne, gilt das auch für die Architektur – die Relation (des Raumes) macht etwas mit unserem Bewusstsein: sie übt eine psychologische Wirkung aus. Neben der räumlichen, existieren auch zeitliche Relationen, der schnelle Kolibri, die langsame Schnecke, die wendige Fledermaus (wobei die Zeit sich in einem Raum, der Raum sich in der Zeit entfaltet). Innerhalb dieser zwei Dimensionen ordnen sich andere Eindrücke, die ebenso Wirkung entfalten: das Licht, der Klang, die Temperatur, usw.. Sie alle verdichten sich zu einer Menge sich überlagernder Relationen: einer Vielfalt an Metaphern, die nicht nur ineinander, sondern auch auf das betrachtende und interpretierende Bewusstsein wirken. Dieser Prozess geschieht daher auch unabhängig von der Wahrnehmungsstruktur, weil es sich dabei nicht um einen konkreten, sondern einen formalen handelt. Es ist wahr: auch ich ziehe nun einen Kreis wenn ich schreibe: ich fixiere durch den Text meine Welt, ich entwerfe ein (Ab)Bild ihrer Relationen.

    Im Moment sitze ich beispielsweise am Meer. Mein Blick ist weit. Würde ich ein Gedicht schreiben, dann müsste ich das Meer nach seinen Formen absuchen : ein Gedicht strukturiert. Der Klang des Meeres wäre sein Klang, der Eindruck seiner schieren Weite gäbe den Gedanken eine Richtung; ein Gedicht würde die Struktur mit ihrer psychologischen Wirkung verwirken und damit (implizit oder explizit) die Welt als relational und deren Wirkung auf das Bewusstsein als sehr konkret festschreiben. Aber gerade schreibe ich kein Gedicht, ich nutze die Form des Meeres, dessen Weite, um darauf zu gleiten. Dafür suche ich das Meer, weil es eine Relation ausdrückt, die ich auch für den Text brauche: der Text ist eine Metapher des Meeres. (Eine Anmerkung: mir schwebt hier keine Naturlyrik vor: der Text kann auch seine eigenen Strukturen thematisieren – es braucht den expliziten Weltbezug nicht, damit er vorhanden ist: auch in der radikalsten Dekonstruktion entsteht noch Sinn und damit Bezüglichkeit zu einem Außen)

    Ich lebe kein Leben für die Lyrik, ich lebe ein lyrisches Leben. Mit dem Text schreibt die Welt sich in mir als eine konkrete fest. Für einen Moment scheint es als komme sie zur Ruhe: der Text ist eine Momentaufnahme meiner Welterfahrung (Struktur und Psychologie). Aber nicht nur die Welt kommt zur Ruhe, ich (er)finde mich in dieser Bezüglichkeit. Damit sind die Grenzen des Textes immernoch die Grenzen meiner Welt, die Interpretation durch mein Bewusstsein nach wie vor subjektiv; aber die Stimulanz ist diesen zwei Aspekten nicht eingeschrieben, sie liegt außerhalb.

    Nun können wir zurückkommen auf die Frage der Authentizität. Jene findet sich nicht zwischen Text und Autor – eine solche wissenschaft wäre ganz falsch ausgerichtet. Die Authentizität ist sinnvoll zu erfragen nur, wenn sich der Bezug des Textes zur Welt, durch ein interpretierendes Bewusstsein fixiert : oder anders formuliert : wenn der Bezug des interpretierenden Bewusstseins zur Welt durch den Text eine konkrete Form annimmt (die dabei immernoch viele Bedeutungen haben wird). Authentizität drückt sich in der Ahnung aus, es handle sich bei einem Text um etwas Gelungenes. Dafür muss es nicht verständlich sein, nicht harmonisch, sondern real (diese Definition ist wie jede Wahrheitsdefinition eine Tautologie): es geht nicht um den konkreten Inhalt, sondern um die Relationen, die ein Text aufwirft. Damit schließe ich den Kreis, allerdings einen anderen, als dem, der dem Eingangs beschriebenen Verhältnis von Text und Autor zugrunde lag: die Interpretiation muss sich der Welt zuwenden: Text und Autor sind Positionen, die auf ein Drittes verweisen, welches sich aber in Text und Autor erst in seiner Nachvollziehbarkeit manifestiert.

    P.S. ich bitte darum, das obige nicht als Poetologie zu verstehen. Es handelt sich um eine Grundlagendiskussion. Eine Poetologie bedeutet eine Absichtserklärung, sie beschreibt den normativen Rahmen, die Richtung der künstlerischen Tätigkeit (die auch in ihrer Negation, also schlechthin immer besteht). Das ist Gegenstand einer anderen Kontroverse. Ebenso verhält es sich mit der Frage der Rezeption, auf die ich hier nur am Rande eingegangen bin.

  18. rubenmcloop schreibt:

    oh, eine Anmerkung dazu, die eigentlich in einer Fußnote stand: Autor bezeichnet die weibliche und die männliche Form.

  19. tristanmarquardt schreibt:

    Mäx, vielen Dank, dass du noch mal die Zeit und Geduld hattest, deine Gedanken so zu ordnen, und ich muss ehrlich sagen, dass ich dir eigentlich auch voll und ganz zustimme. Mehr noch: Ich glaube, dass du mit eigenen Worten und Erfahrungen noch einmal anders ausgedrückt hast, was ich schon oben zum Ausdruck bringen wollte – du mit Fokus auf die Produktion, ich mit Fokus auf die Rezeption. Spannend finde ich daraus resultierend auch, dass jeweils von einer rein „extern gegebenen Welt“ nicht die Rede sein kann, da die Realität wie der Text nur im Moment ihrer Wahrnehmung für uns existiert. Wenn du von einem „lyrischen Leben“ sprichst, passiert genau das: In der Lyrik reflektierst du bewusst auf das, was unbewusst ohnehin geschieht. Und wenn du es gut machst (ich würde sagen: ein breites Strukturangebot schaffst), dann fühlen sich auch Andere je anders und zu anderen Zeitpunkten angesprochen.

  20. tristanmarquardt schreibt:

    Und im Prinzip ging es mir darum in meiner Ausgangsfrage: Was ist das Verhältnis von „Ich“ und Strukturangebot? Aber das haben wir mittlerweile ja ganz gut geklärt.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s