auszüge eines schattenkatalogs

deckschatten
form von schatten, die bei dunkelheit in lichtkegeln auftritt. trägt auf die schicht licht, die eine lichtquelle auf die dunkelheit gelegt hat, eine weitere schicht dunkelheit auf.

abschatten
tritt ebendort auf, funktioniert aber genau umgekehrt: negiert das licht und macht die darunter liegende schicht dunkelheit wieder sichtbar.

hubschatten
positive variante des abschattens. negiert das licht nicht, sondern hebt die dunkheit unter dem licht hervor. bei hubschatten wechseln licht und dunkelheit die seiten.

kehrschatten
rückseite eines schattens, die nur von jenen (dingen) wahrgenommen werden kann, auf die der schatten fällt.

schattenschatten
schatten, den ein schatten wirft.

möglichkeitsschatten
ist im fall kompletter dunkelheit jener schatten, der sichtbar würde, wenn es nicht dunkel wäre.

schattenspur
vergangenheitsform eines schattens.

schattenheit
form von dunkelheit, die nicht durch die allgemeine abwesenheit von licht entsteht, sondern durch eine so große häufung an schatten, dass jeder ort, an dem licht sichtbar werden könnte, ausbleibt. bei schattenheit ist das licht zwar anwesend, kommt aber nicht zum ausdruck.

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5 Antworten zu auszüge eines schattenkatalogs

  1. Mauro Hertig schreibt:

    Mich springt das Unternehmen spontan an, in der Form von Lexikoneinträgen eine solche Annäherung vorzunehmen, da durch durch deren Klarheit in der Struktur viel Platz entsteht für die Vorgänge, die sich während des Lesens der einzelnen Begriffe und darüber hinaus entfalten.
    Auch erscheint mir jeder der Vorgänge verständlich und innerhalb der Bilder, die sie evozieren, auch logisch (was ich von einem Katalog erwarten würde.)
    Wo ich allerdings hängen bleibe, ist bei der „schattenspur“. Ich denke, es liegt daran, dass mit „vergangenheitsform“ ein Begriff fällt, der meine zeitliche Wahrnehmung bis dahin überrumpelt und sich nicht darin einhaken möchte, also unterbricht.
    Davor scheint der zeitliche Vorgang der Schattenbeschreibung immer darauf angelegt, sich quasi im Lesetempo zu entfalten. Es gibt keine Hinweise auf z.B. Tageszeiten (was bei der Thematik ja durchaus sein könnte), sämtliche zeitliche Struktur entsteht nur durch das Davor/Danach dessen, was innerhalb der Beschreibung der Schatten geschieht.
    Der Sog, den dies nun entwickelt, könnte sich aus meiner Sicht gerne durch den ganzen Text ziehen, was ihm auch noch ein zusätzliches einheitliches Element gäbe, das ich an ihm, wie ich denke, sehr passend fände.

  2. Linus Westheuser schreibt:

    großartig. ich mag den ton des engagements, der da bei aller sachlichkeit mitschwingt. als wären diese unterscheidungen gerade das wichtigste der welt. und sowieso das aufeinanderstoßen der im schatten eingelagerten romantik und des taxonomischen verfahrens, mehr davon: staub, ähre, sturz… und auf jeden fall natürlich gebucht fürs lexikon!!

  3. Lea Schneider schreibt:

    ja, da schließe ich mich an! erinnert mich im positivst möglichen (soweit man bei ihm überhaupt von „positiv“ sprechen kann) an heidegger ;)

    plus: zum romantischen des schattens die romantik des lexikonentwurfs; dieser universelle anspruch einer enzyklopädie – ist das (reflektives?) retro? – großer spaß.

  4. Tristan Marquardt schreibt:

    danke euch! ich war zunächst skeptisch, ob es überhaupt interessant sein könnte, so etwas zu machen. denn entsprungen ist die idee dem ewigen brüten über einer anderen textstelle, wo ich unsicher war, wie den schatten am besten bringen, und plötzlich hatte ich so viele perspektiven auf schatten im kopf, dass ich dachte, jetzt musst du sie zusammentragen und das lyrische verfahren einfach mal umkehren: nicht perspektiven und bilder in einem gedicht verdichten, sondern die lyrische perspektive auf dinge sachlich aufschreiben. dann also vielleicht wirklich mehr davon, mal schauen, obs auch programmatisch funktioniert.

    zur schattenspur, mauro: alle beschriebenen schattensorten sind für mich perspektiven. dahinter steht der gedanke, dass die „wesenheit“ von etwas nicht immer schon gegeben ist, sondern ein wechselspiel zwischen der materialität des beobachteten und der art und weise des beobachtens ist. ändert sich der blick, ändert sich das ding. diesen möglichkeitsraum so weit wie möglich auszunutzen, wäre mein anliegen, deshalb bin ich erstmal sehr für eine zeitebene als ergänzung zum vorigen. vielleicht muss ich da aber ausführlicher werden. der gedanke war: auch ein ort, an dem kein schatten ist, kann schatten insofern beinhalten, als dass dorthin einmal schatten gefallen sein wird. das wäre die schattenspur. würde für dich denn eine ausführliche beschreibung das problem aufheben oder zumindest bessern?

  5. Mauro Hertig schreibt:

    Die leichte Veränderung der Perspektive, die das Ding damit neu konstituiert, von der du sprichst, ist genau das, was mich auch so fesselt an dem Text. Nur scheint mir „vergangenheitsform eines schattens“ zu gross, um einen solchen Blick auf das Objekt zu erstellen (im Vergleich zu „schatten, den ein schatten wirft“, welches von den vorangehenden Zeilen gut vorbereitet wird).
    Ja, ich denke, eine etwas ausführlichere Beschreibung, die genauso mit den Begriffen „schatten“, „licht“ und „dunkelheit“ operiert wie die anderen Strophen, würde die Form etwas vereinheitlichen und bewirken dass diese eine Zeile (zumindest mir) nicht so aus dem Rahmen fiele.

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