das gesetz des utopischen standorts

theodor w. adorno erschlägt am pazifik eine biene. für die tausend
autos im himmel und ich, ich verhalte mich still. der goldene ball,
den ich halte. wenn ich alles meide, was sprechen kann. das ist
die revolution, ein erdnussstrauch im zentrum der theorie.

und die welt ist unbenutzbar. die körnigen projektionen des pazifiks
auf den palisaden so that the gods constantly depart. theodor
w. adorno hadert mit seiner zigarette. er betritt eine institution. ich kann
alleine nicht sein und wenn mich jemand küsst, dann bin ich ja allein.

die ungewissheit der finger auf der tastatur. unter dem aspekt der
ewigkeit. ist ein trommeln auf schalen im hinteren winkel der küche,
die kamera ist anderswo. dies ist keine apologie des ängstlichen
bürgertums. theodor w. adorno schaltet eine glühbirne ein, seine hände

bleiben ihm frei. auf den bildern sieht man die leute im hintergrund,
teamsters and turtles. mit erhobenen mittelfingern gehen sie ins bett.

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19 Antworten zu das gesetz des utopischen standorts

  1. Tristan Marquardt schreibt:

    (kurz vorab: Mir läge eine Diskussion zu diesem Text sehr am Herzen, dafür muss ich kurz ausholen, bitte lasst euch davon nicht abschrecken!)

    Wir hatten auf diesem Blog einmal eine lange und, wie ich finde, ziemlich ergiebige Diskussion (https://gdreizehn.wordpress.com/2012/03/28/tank-man/) über die Frage, die Ilja ebenda so formuliert hat:

    „was ist der unterschied [im hinblick auf die zugänglichkeit und vermittelbarkeit] zwischen einem text, der […] eine das-musst-du-wissen-oder-nachschlagen-haltung transportiert, und einem text der vor fremdwörtern und auf andere diskurse verweisenden strotzenden (experimentellen) text?“

    Der Streitpunkt war damals gewesen, dass Max in seinem Text offensiv Verweise auf externe Daten eingebaut hatte, ohne deren Überprüfung (es handelte sich um Verweise auf den Platz des himmlischen Friedens) eine Rezeption des Textes in vielen Punkten ins Leere ging. Ilja hatte ihm zunächst eine exklusive Brockhaus-Poetik vorgeworfen, Max hatte mit einem Angriff auf die Exklusivität experimentellen Schreibens (als eine mögliche Alternative) gekontert. Die Antwort auf die obige Frage, die Ilja damals ziemlich am Ende der Diskussion formulierte und die mich bis heute eigentlich überzeugt, lautete so:

    „wenn die leser meinen, die bedeutung der fremdwörter nachschlagen und die diskurse kennen zu müssen, keiner. wenn die leser den maximen des experimentellen programms, wie ich es oben zum teil skizziert habe, bewusst oder unbewusst folgen (das kann durch performatives erleichtert werden) auch keiner. nur dass ich das eher als erfolg werte und du nicht.“

    Ich finde nun, dass diese Fragestellung anhand von diesem Text von Linus vehement neu gestellt werden muss. Denn er macht sich gleich beides zum Programm: Von der inhaltlichen Vorgehensweise her ordnet er sich, kaum überraschend, insofern einer experimentellen Tradition zu, als dass er offensiv kohärente Bedeutungsstrukturen gegen die Wand fährt und produktiv mit Kontingenz umgeht. Formal nutzt er die Form des Shakespeareschen Sonetts, die mit bedeutungsschwangerer Tradition kaum mehr belastet sein könnte und hier aber nur als Hülle existiert: Die Strophenkonstellation enspricht der Form, die Metrik nicht. Dazu kommt, und das wiegt für mich am schwersten, die dreifache Nennung Adornos, was dadurch allein schon quantitativ als das wichtigste Element des Textes gelten darf. Und ich frage mich jetzt nun schon seit zwei Tagen: WAS SOLL DAS? (Das, was ich schon bei „gramscis rätsel“ (https://gdreizehn.wordpress.com/2012/05/31/transitivitat-und-neigung/) problematisch fand, ist hier nun auf die Spitze getrieben.)

    Mit pessimistischem Blick könnte man sagen: Der Text bemüht sich auf dreifache Weise darum, möglichst unzugänglich zu sein.
    Mit optimistischem Blick könnte man sagen: Der Text geht mit so viel Ballast produktiv um, da steckt bestimmt ganz viel Auseinandersetzung drin, lass mal analysieren, worin die besteht.
    Aber ich glaube, auch das wird zu nichts Zufrieden-Stellendem führen. Man wird in diesem Text nichts über Adorno erfahren, nichts über die Nutzung dieser Sonett-Form – das sind alles Referenzen, bei denen es nicht um das Bezeichnete geht, sondern nur um das Bezeichnen selbst. Aber warum dann ausgerechnet Adorno und Shakespeare? Warum so viel Ballast? Warum die großartige Lockerheit dieses Tons so sehr mit Gewichten behängen? Dass mich das selbst ziemlich abturnt, ist nur der kleinere Punkt meiner Kritik. Der größere ist, dass sich ziemlich viele Argumente, die in der oben angegebenen Diskussion und auch sonst ja schon oft gegen Max‘ Referenz-Vorgehen angebracht wurden, UND ziemlich viele Argumente, die gegen das experimentelle Schreiben dort und anderswo formuliert wurden, GEMEINSAM gegen diesen Text wenden lassen. Und dass sie im Duett vielleicht dann wirklich etwas zu schwer wiegen.

    Seht ihr das auch so? Wie sonst?

  2. Max Czollek schreibt:

    …well. dann steige ich mal in die diskussion ein bzw. hebe den faden auf, der irgendwo südlich des tank mans liegen geblieben ist. was ist dieser text?

    nun, wie tristan schon festgestellt hat handelt es sich um ein gedicht, welches seinen willen zur experimentellen tradition signalisiert. das tut es (auch das hat tristan schon gesagt), indem es bestimmte verfahren anwendet, indem inhalt nicht mehr aufgeht bzw. nur noch über assoziation des schreibenden funktioniert usw.

    die freie assoziation. eine problematik, mit der ich einsteigen will, sozusagen um mich damit warm zu laufen ;) wir haben das bisher noch gar nicht diskutiert: die machtposition, die ich als experimenteller autor gegenüber dem/der lesenenden einnehme ist erheblich, wenn ich den/die lesende durch meine flashige fantasie die im besten fall nur noch spontanter logik folgt an die hand nehme. alleine stehen kann der/die lesende im experimentellen text auf keinen fall. damit setzt die rezeption, das tut mir jetzt leid, eine geste der unterwerfung unter das verfahren immer schon voraus! und wenn ilja das schon als erfolg wertet, empfiehlt er dennoch den unterstützenden einsatz performativer aspekte, damit die dinge sich nun wirklich und besser in den rezipienten einschreiben (über die problematische tradition und bedeutung performativer programme zur vorbewussten überzeugung von subjekten können wir an anderer stelle diskutieren).

    diese perspektive stelle ich jetzt mal dem inhaltlich bzw intentionalistisch agierenden text gegenüber (prototypisch: tankman). jener fordert, und das war ja schon bei der diskussion um tankman mein argument, eine ähnliche herangehensweise vom rezipierenden, die ebenfalls und gar nicht unähnlich darauf beruht, sich auf den text einzulassen und sich für seine hintergründe zu interessieren etc. dass dabei die eine herangehensweise durch inhalt bzw. stringenz, die andere durch inhaltliche kontingenz und gebrochene logik gekennzeichnet ist, ist so offensichtlich eine unwesentliche und normative unterscheidung, dass ich sie als gegenargument an dieser stelle vorwegnehmend ausschließen möchte. die macht ist natürlich auch im intentionalisitschen text vorhanden, allerdings zeigt sie sich anders, vielleicht eher im sinne des agenda-settings: „ich schreibe jetzt über folgendes thema“, während die interpretation durch externe bezugspunkte (wikipedia, geschichtswissen, usw) abgestützt bleibt.

    diese zwei absätze also um festzustellen, dass beide textsorten eine ähnliche einstellung benötigen, die ich allgemein formulieren würde als: konzentration, interesse, geduld (!). ABER was macht dieser text von linus da eigentlich? Ich glaube nicht, mit den bisherigen ausführungen hätte ich den kern der problematik getroffen: denn neben seiner selbstzuweisung zu einer experimentellen tradition lässt sich doch fragen, inwiefern dieser text nicht nur so tut als wäre er es? ohne jetzt einen katalog des experimentellen anzufertigen, wozu hier weder der platz ist noch meine übersicht über das thema genügt, würde ich trotzdem sagen, es finden sich einige indizien dafür, dass der text eigentlich etwas anderes macht.
    da wären zum einen die substantive, über die der text hauptsächlich agiert. deren reihung würde folgendes ergeben: adorno, pazifik, biene, autos, himmel, ball, revolution, erdnussstrauch, zentrum, theorie, welt, projektionen, pazifik, palisaden, gods, adorno, zigarette, institution… das sind jetzt nur die ersten zwei strophen aber der text geht so weiter. der schwerpunkt dieses textes liegt damit auf einem politischen und politisch romantisierendem wortfeld (zigaretten und palisaden interpretiere ich jetzt mal als cliches linker revolutionsromantik; es wäre eine überlegung, auch „adorno“ dort einzuordnen). aber noch einmal: was will der text?

    vor dem hintergrund des bisherigen würde ich jetzt sagen, es handelt sich um einen etwas unscharfen entwurf herkömmlicher agitationslyrik im rahmen einer experimentellen simultation (ich sage bewusst nicht „politisch“, denn das ist etwas anderes). und damit sind wir an dem punkt angelangt, den wir auch nach der freitext lesung gestern abend diskutierten – wobei wir nicht viel weiter kamen als gesprächsbedarf festzustellen. was ist politische lyrik? und was machen wir mit dieser halbtoten gattung, die furchtbar nach 70er jahre, subjektivismus, schlechter technik und agitprop riecht?

    … anlässlich dieses textes stellt sich nun einmal mehr die frage, inwiefern das experimentelle paradigma der uns umgebenden gegenwärtigen lyrik eine art rahmen bereit stellen, außerhalb dessen wir die dinge nicht mehr denken bzw. schreiben können? gegenwärtig, so meine beobachtung, werden alle möglichen stilrichtungen und aussagemodi im rahmen experimenteller simulationen reformuliert: also empfindsamkeit, agitation, klassik, romantik … es fällt mir schwer darin nicht einen gewissen stumpfsinn zu erkennen. viel schwerer aber wiegt die affirmation des rezipierenden subjektes, die folge ist einer solchen gruppenbezogenen kommunikation ist: „signalisierst du kenntnis über den lyrischen diskurs, erkenne ich dich an UND finde ich mich wieder in meiner position als lyriker_in/ literaturwissenschaftler_in/ intellektuelle_r“.
    das hat mit kritischer praxis wie ich sie verstehe nun überhaupt nichts mehr zu tun. und es unterläuft auch, denke ich, die absicht experimenteller verfahren, die ich als genuin und zuallererst kritisch verstehen möchte. mit einer solchen einlassung von elementen, die für die experimentellen lyriker_innen des frühen 20sten jahrhunderst feindbilder darstellten und verabscheute gesellschaftsmodelle symbolisierten (romantik, empfindsamkeit, expressionismus, …) wird das experimentelle projekt langsam aber effektiv zu tode umarmt. und es bleibt eine offene frage, ob das experimentelle verfahren für jeden aussagemodus das geeignetste ist.

    am ende also die alte tristan-frage neu formuliert: warum dieser text mit diesem verfahren? was hat das noch mit einer experimentellen praxis zu tun? welche funktion kommen adorno und all den anderen substantiven zu, wenn nicht die affirmation des wissenden lesenden und damit auch der politischen position des autors? was ist daran nicht agitation? in welche richtung sollte experimentelle lyrik gedacht werden? steht am ende nicht wieder der politische text?

    und was wäre dann eigentlich ein kritischer bzw. politischer text?

  3. Ilja Winther schreibt:

    Ich muss sagen, ich krieg’s nicht so richtig hin, mich über Adorno zu empören. Und ich sehe den Text auch nicht unbedingt als Schuss in Herz der Frage, die ich bei der letzten längeren Diskussion aufgeworfen habe. Was aber spätestens eine laute Intervention erzwingt, sind die schweren Geschütze, die Du, Max, da gegen experimentelles Schreiben (und ganz nebenbei gegen Performance so ziemlich im Allgemeinen) auffährst. Ich widerspreche Dir natürlich in allen Punkten vehement (bin im Übrigen ein bisschen misstrauisch, weil deinVorstoß auf mich mehr wie unsichere Provokation, als wie ein durchdachtes Manifest wirkt), halte es aber nicht nur für reizvoll, sondern auch für absolut notwendig, die Implikationen unseres Schreibens nicht nur in einem politischen, sondern auch in einem historischen Kontext zu diskutieren. Du, Tristan, versuchst ja eigentlich fast immer deine Kritik aus den textimmanenten Strukturen heraus zu begründen, indem Du z.B. dem jeweiligen Text einen performativen Widerspruch vorwirfst. Natürlich muss einer Kritik immer Analyse der textimmanenten Strukturen vorausgehen, aber die Letztbegründung eines bestimmten Urteils hat ja immer ein politischen und historischen Schwanz und das Ideal von performativer Entschlossenheit, Reinheit usw. ist genauso normativ, wenn es sich nicht zufällig mit den Einschätzungen/Intentionen des Autors deckt. Was ich sagen will, auch in Hinblick auf Tabeas Frage, was denn an Geschlossenheit in einem Kunstwerk das Problem sei: Warum nicht dem Anderen mal Despotie o.ä. vorwerfen?

    Aber zunächst einmal zu Linus‘ Text. Ich muss sagen, dass ich es schwierig finde, wenn man dem Text vorwirft, er habe etwas zu bedeuten, ohne zu sagen, worin das bestehen soll. Wenn da stünde „Seneca gibt Adenauer auf dem Trafalgar Square einen Zungenkuss“ hab ich zwar die Möglichkeit zu sagen: „Das sind so viele Referenzen, entweder ich beschäftige mich ganz intensiv damit und bekomme raus, was das alles bedeuten kann oder ich finde das blöd“. Ich habe aber auch die Möglichkeit, das einfach einen coolen Umgang mit Referenz zu finden, genauso wie bei „Adorno“ plus „Pazifik“ was passiert, wofür ich nicht Adorno gelesen haben muss. Ich würde das einen experimentellen, weil willkürlichen Umgang mit großen Konstrukten, hier: großer Begriff und große Persönlichkeit, nennen, der nicht auf Nachschlagen, sondern auf eine unmittelbare Nähe zu dem hinaus läuft, was in der Regel ehrfurchtsvoll aus der Distanz (sei es über den Umweg der nachschlagbaren Referenz) besprochen wird. Natürlich hat der Titel mit den Begriffen zu tun, der aus der Aufgabenstellung hervorgeht, die Linus‘ Zyklus zugrunde liegt. Wie er dieses Referenzproblem für den gesamten Zyklus lösen will, sei dahin gestellt (ich fände es sehr schön, den ganzen Zyklus mal in ner Publikation zu sehen).

    Aber unabhängig davon ist gegen einen spielerischen Umgang mit bedeutsamem Personal und Bildern mit langer Tradition nichts zu sagen, wenn die Verfahren dem Experiment verschrieben bleiben, in dem Sinne, dass alles Material enthierarchisiert ist. Vielleicht bräuchte der Text noch mehr wichtige Persönlichkeiten, mehr Evolutionsgeschichte, mehr Mythosfragmente und vielleicht ist hier die Wiederholungsstruktur doch zu prekär. In jedem Fall ist aber nicht Adorno das Problem. Und das westheusersch-schwärmerische Moment ist nicht mit Romantik gleichzusetzen. Da werde ich auch in Zukunft marquardtscher Bürokratie und czollekscher Polemik ungestüm entgegentreten.

    Nun aber ans Eingemachte! Dein Vorwurf, Max, den Du ja nicht nur gegen flashiges, assoziatives Schreiben, sondern auch gegen alle möglichen Formen experimenteller und hermetischer Lyrik überhaupt, ja im Grunde gegen Lyrik (wenn man diese über „Dichte“ definiert) ganz allgemein, ja, eigentlich gegen Kunst im Gesamten richtest, halte ich grob gesagt für kleinbürgerliches Klischee: Künstler machen Dinge, die keiner versteht und wollen, dass das konsumiert wird, also ist Kunst Despotie. Was zu Ende gedacht hieße, alles Andere, Individuelle, Imaginäre auszugrenzen.

    Politik findet nicht vorrangig in der Lyrik statt. Wenn es um politische Lyrik oder das Politische in Lyrik geht, sollte man nach den spezifisch lyrischen Mitteln fragen, dem Lyrik eigenen Umgang mit Bedeutung (den experimentelle Lyrik ja nur optimieren möchte. In den Kommentaren zur anderen Diskussion hab ich ja schon versucht, experimentelles Schreiben als Sehnsucht nach dem Eigentlichen des Genres (und Sprache generell) zu behaupten, also letztlich, das Experiment in jedem Text sichtbar zu machen) oder man wechselt das Genre und scheitert auch. Sucht man aber das Politische im spezifisch Lyrischen, begrüßt einen heiter und aufgeweckt das Gegenteil deines Vorwurfs: Alles, was man versteht, ist potentiell despostisch, weil ihm eine hierarchisierte semantische Struktur zugrundeliegt, die „Sinn-Despotie“ erst möglich macht.

    Man kann natürlich die Frage aufzuwerfen, inwiefern ein Text einen autoritären Verfasser impliziert, das hat aber weder mit einem Distinktionsbedürfnis zu tun, das man signalisiert, wenn man sich in die Tradition experimenteller Lyrik zu stellen versucht, noch mit der Verstehbarkeit von Lyrik. Es gibt so etwas wie autoritäre Haltung des Textsubjekts, z.B. Gegenständen gegenüber. Gerade im Experiment tritt aber der Autor zugunsten der Verfahren zurück, steht der Autor (objektiv sowieso, aber im besten Fall auch von der Rezeption aus gedacht) seinem Text schließlich genauso entfremdet gegenüber wie der Leser. Inwiefern welcher Texte dem gerecht wird, lässt sich an anderer Stelle diskutieren. Aber das Explizieren der Diskrepanz zwischen Autor, Text und Leser schließt das Explizieren der Diskrepanz zwischen Autor und Text doch ein. Autorität ist doch letztlich nur in Zusammenhang mit authentischem Ausdruck denkbar.

    Aber zu den Verfahren und zur Macht. Was Deine Skepsis gegenüber „vorbewusster“ Einprägung von Nonsens durch performative Mittel betrifft, so würde ich gerade dies als wesentlich für postdramatisches Theater (oder auch „energetisches Theater“) bezeichnen, das Dialektik und dramatische Kohärenz verwirft zugunsten der Freiheit der Signifikanten, u.a. in Ritus und Zeremonie. Von einem Medium zum anderen zu springen, ist schwierig, aber Vergleichbarkeit ist z.B. gegeben, was den Umgang mit Wiederholungsstrukturen betrifft, die ich gleichzeitig gern als Beispiel für meinen Blick auf das Verhältnis von Experiment und Macht nehmen möchte. Lyrik, für die Repräsentation zentral ist (bestes Beispiel sind 39,6 ha, die auf den Platz des himmlischen Friedens verweisen) ist ein Kondensat (im besten Falle dialektische Verschränkung, im schlimmsten Falle Zitat) großer Erzählungen, also zum Beispiel Geschichtsschreibung. Je nachdem, wie viele der Referenzen als solche wahrgenommen werden, lässt sich der Diskurs, auf den zurückgegriffen wurde, durch Nachschlagen rekonstruieren. Nicht nur, dass dadurch die Signifikanten innerhalb des Gedichts hierarchisch geordnet werden, sie treten insgesamt zugunsten einer geistig bedeutsamen Kollision von Zwecken (zum Beispiel verpackt in „Ich hatt‘ einen Kameraden“ und „Vor Madrid auf Barrikaden“(oder bring ich da was durcheinander?)) in den Hintergrund.

    Was damit intransparent gemacht wird, sind die eigentlichen Verfahren, die den großen Erzählungen (ich schmeiße hier mit geklautem Vokabular um mich, bitte seid nicht so streng) selbst zugrundeliegen, also ganz zentral Wiederholung. Geschichtsschreibung und oral history fußen auf Wiederholung (die natürlich wiederum Bedingungen hat). Was also bei referentieller Lyrik passiert, ist das Suggerieren von Verstehbarkeit, während die Voraussetzungen für Verstehbarkeit intransparent bleiben und genauso das Suggerieren von Gemeinschaft (des Autors mit dem Leser), wo gar keine ist, weil die Bedingungen von Gemeinschaft, z.B. Wiederholungsstrukturen oder allmähliches Konstruieren des Gedichtinventars (wie es typisch für Pastior und Ulf ist), nicht vorkommen. Lyrische Dialektik, das Arrangieren von Diskursfragmenten, ist deswegen nicht Beschäftigung mit der Substanz, sondern das genaue Gegenteil. Gegen die Tätigkeit des Nachschlagens ist nichts zu sagen, was aber beim Zitieren ausgeklammert wird, ist der Prozess des Lexikon-Erstellens usw.

    Wenn die Verfahren aber explizit gemacht werden -und gerade über einen performativen Rahmen lassen sich Möglichkeiten schaffen, haptisch mit Widerholungsstrukturen zu arbeiten- dann kann so etwas wie Mitvollzug statt Nachvollzug (des Nachschlagens) entstehen und dann wird die Macht, die in den Verfahren liegt, zugänglich. Verfahren werden also bereitgestellt und die Utopie sieht so aus, dass alle Menschen diese Verfahren nutzen können… Damit ist dem Solipsismus nicht Einhalt geboten, aber man kommt zu so etwas wie einer Gemeinschaft der unterschiedenen singulären Phantasien. Und das ist nicht so elitär und voraussetzungsreich, wie z.B. Du, Tristan, gerne beschwörst. Ich glaube, Kunst kann in Gewohnheiten fiel effektiver eingreifen als z.B. akademische Bildung und viel schneller, bzw. ohne den Umweg über Letztere, Verfahren zur freien Verfügung stellen, die ja unabhängig von Wissen und Theorie von Verfahren existieren. Einen anderen Weg normatives Denken zu bekämpfen, um noch mal einen Gang runter zu schalten, sehe ich jedenfalls nicht. Der liegt jedenfalls ganz bestimmt nicht in der Repräsentation.

    Um einen slamigen Schlusssatz rauszuhauen: Wären Verfahren Maschinengewehre, dann wärst Du, Max, derjenige, der rät, zur Bundeswehr zu gehen, während ich abwechselnd die Waffen auf der Straße verteile und mir selbst ins Knie schieße.

    • wfs schreibt:

      zieht euch doch mal das leben rein u lasst den quatsch mit dem toten material.

      • Tristan Marquardt schreibt:

        für einen kurzen moment dachte ich „wfs“ stünde vielleicht gar nicht für „walter fabian schmid“, sondern für „was faseln sie?“. dafür am besten gleich weiterlesen. :)

  4. Tristan Marquardt schreibt:

    Mein Lob für und meine Freude über deinen Kommentar, Ilja, muss ich voranstellen, dann aber umgehend harsch kritisch ansetzen.

    Zunächst habe ich für deinen Vorwurf einer „marquardtschen Bürokratie und czollekschen Polemik“ eine gewisse Sympathie. Du hast uns in diesen Punkten – pardon – richtig verstanden. Des Weiteren kann ich deiner emphatischen Verteidigung für das experimentelle Programm natürlich sehr viel abgewinnen. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass ich in ähnlich gelagerten Diskussionen andernorts in vielen Argumenten darauf zurückgreifen werde. Dafür danke. Aber: Deine Verteidigung von Linus‘ Text geht meiner Ansicht nach grundlegend fehl, ja sie hat mir sogar noch mal klarer gemacht, worin meine Zweifel bestehen – und um das zu begründen, muss ich in der Folge Max‘ Kommentar, so sehr ich grundsätzlich in Vielem nicht mit ihm übereinstimme, in mehreren Punkten recht geben.

    Das hat mit zweierlei Dingen zu tun. Erstens will ich nochmal darauf pochen, dass das experimentelle Programm, das du entwirfst, zwar einen wichtigen Horizont für Linus‘ Text bildet, er darin aber nicht aufgeht. Zweitens gehst du auf Max‘ Diskursivierung des exprimentellen Verfahrens, aus der heraus seine Kritik ja überhaupt erst formuliert ist, praktisch gar nicht ein. Und diese halte ich nicht nur grundsätzlich für bedenkenswert, sondern insbesondere im Hinblick auf den vorliegenden Text.

    Zum ersten: Eines deiner Hauptargumente besteht darin, dass du Adornos Auftreten in diesem Text nicht für problematisch hälst, weil dessen Bedeutsamkeit enthierarchisiert werde, und das Projekt der Enthierarchisierung von Bedeutung eines der zentralsten experimentellen Verfahren überhaupt sei. So sehr ich mit zweitem übereinstimme und das wie du durchaus als politisches, weil sozial-kritisches Projekt ansehe, so sehr bin ich der Ansicht, dass die Bedeutsamkeit in Linus‘ Text gerade nicht enthierarchisiert wird. Im Gegenteil. Statt wie du „den jungen Schubert“ zu banalisieren oder wie Ulf ,reale‘ und ,fikive‘ Namen gleichsam in ihrer Funktion zu dekonstruieren, wird der Name Adorno hier aufgebauscht: Nicht nur ist er das zentrale Paradigma des Textes, sondern sind die Handlungen und Begriffe, mit denen er in Zusammenhang gebracht wird, mitnichten zufällig. Und das wird zum Programm, wenn der Text gleich damit einsteigt: „Pacific Palisades“ war Adornos Exil, der Ort, wo er einen Großteil (?) jener Schrift mit jenem Nach-Auschwitz-keine-Gedichte-mehr-Satz verfasst hat. Und wenn er dort eine Biene erschlägt, seit Platon Symbol für die Dichtung, dann ist hier alles Mögliche am Werk, aber nicht die Enthierarchisierung von Bedeutung. Adorno ist hier nicht einfach irgendein Name, sondern genau dieser Adorno mit genau dieser Bedeutung. Und wenn man darauf Bezug nimmt in einem Gedicht, das mit dem Sonett die gedichthafteste aller Gedicht-Formen hat, dann wird hier Bedeutung nicht enthierarchisiert, nicht dekonstruiert, nicht problematisiert, sondern benötigt und bestätigt. Fetter gehts nicht. Komplexer wird es dann freilich in der Folge, wenn dieser erste Satz in Relation mit anderen einen Text bildet, der sich ganz und gar nicht derart ,entschlüsseln‘ ließe, und man könnte jetzt sagen, der Text ziele auf eine größtmögliche Offenheit: mit ALLEM umgehen zu können, sei es alltäglich, höchst bedeutungsschwanger, labial, tiefblau, durstig oder hässlich – und das sei dann wiederum Enthierarchisierung. Aber erstens ist das nicht der Fall, sondern es tauchen in Linus‘ Texten und gerade in diesem hier Begriffshäufungen aus ganz bestimmten Feldern und ganz bestimmte Haltungen zu den Begriffen auf (siehe Max‘ Kommentar). Und zweitens lässt sich dann eben doch die Kritik anbringen, dass man, um einem solchen Vorhaben überhaupt folgen zu können, erstmal um eine solch aufgebauschte Form der Bedeutsamkeit wissen muss, und in der Folge darum wissen muss, dass sie hier mit vielem Anderen gleichgeschaltet werden soll. Und damit das nicht nur textEXTERNE Voraussetzungen seiner Rezeption sind, die als solche höchst exklusiv und damit hierarchisch sind, bedarf es eines größeren Zusammenhangs, der das auffängt. Der Text selbst leistet es nicht, und auch deswegen habe ich ein Problem mit ihm.

    Zum zweiten (Max‘ Diskursivierung des experimentellen Verfahrens): Wenn ich Max richtig verstehe, ist sein Vorwurf, dass es in einer gewissen Strömung der gegenwärtigen deutschsprachigen Lyrik eine Selbstverständlichkeit in der Verwendung experimenteller Verfahren gibt (zu der Anton G. Leitners „Realpoesie“ das Gegenstück wäre), die aber mit den Voraussetzungen des exprimentellen Programms immer wieder bricht. Ein Beispiel: Man möchte sich zwar gerne im Zusammenhang mit der experimentellen Tradition sehen, gleichzeitig aber „empfindsam“ schreiben (solche Texte gibt es zurzeit en masse, würde ich sagen). Nun ist aber gerade Empfindsamkeit eine Kategorie der Romantik, mit der das experimentelle Programm wenn nicht zuallererst, so doch zuallerzweit bricht. Es ließen sich weitere Beispiele anführen, und ich glaube, Max trifft hier einen wichtigen Punkt – nur dass ich anders mit ihm umgehen würde. Wenn es nämlich einen Text gibt (und Linus‘ Gedicht hier würde ich als einen solchen bezeichnen), der sich zwar einerseits deutlich in die experimentelle Tradition einreiht, andererseits aber auch auf andere Verfahren zurückgreift, dann kann man ihn auch nicht ausschließlich mit Argumenten für experimentelles Schreiben verteidigen (Ilja) oder mit Argumenten gegen experimentelles Schreiben anklagen (Max). Die Frage wäre für mich eher, ob er, wenn er sich mehrerer Verfahren bedient, und diese Verfahren sich zunächst einmal auszuschließen scheinen, das mitbedenkt, damit umgeht, das produktiv zu machen sucht oder nicht. Von einem empfindsam-experimentellen Text könnte man sagen, er wolle nicht-romantisch romantisch sein. Das wird in meinen Augen zum Problem, wenn es um eine reines Nebeneinander ginge. Es wird hochinteressant, wenn es um das Forcieren eines Paradoxes ginge – bspw. um die Entromantisierung der Empfindsamkeit und/oder die Romantisierung der Empfindungslosigkeit. Und ich glaube, das, was Linus hier vorhat, wäre in diesem Lichte wirklich großartig, etwa: Die gleichzeitige Entsemantisierung des Bedeutsamen und Semantisierung des Weniger-Bedeutsamen. Aber passiert das hier wirklich? Wird im Schatten von Adorno die Revolution zum Erdnussstrauch (V. 4) gemacht und der Erdnussstrauch zur Revolution? Ich glaube nicht.

  5. daniela seel schreibt:

    also. je länger ich diesem thread folge, der wohl schon lange vor diesem thread begonnen hat, desto weniger verstehe ich die bedeutung von „experimentell“. sollte experimentell nicht sein, was unter quasi kontrollierten bedingungen anhand eines spezifischen sets an verfahren unter laborbedingungen durchgeführt wird und sich hernach unter gleichen bedingungen wieder so erzeugen und also überprüfen ließe? so gelesen, schreibt kein g13er experimentell, überhaupt die wenigsten heute. auch nicht ulf oder oswald. dennoch werden immer wieder diese beiden schulen unterschieden, nennen wir meinetwegen aus aktuellem anlass die „realpoeten“ als gegenpol. aber hat es vielleicht mehr mit lebensstil, vorlieben, peer groups, milieus .. zu tun als mit verfahren, wo man sich zuordnen will? zu linus neuen texten: was ich daran krass gut finde, ist, wie sie schaffen, zwischen konkreten poetischen bildern, einordnungs-/empfindungsversuchen des lyrischen ich und dem historisch-diskursiven kontext zu changieren. für mich sind sie keineswegs hierarchisch, erst recht nicht diktatorisch, vielmehr fragend: und was fang ich jetzt bitte damit an? gerade die art, wie hier adorno reinkommt, durch das dreimalige, fast schon verzweifelte aufrufen (bitte, hast du mir vielleicht doch noch was zu sagen?), steht er genau auf der kippe zwischen seiner überdrüssig sein (durch die endlose wiederholung, kanonisierung, banalisierung) und doch die auseinandersetzung suchen. das gedicht geht dahin, wos wehtut, direkt in den „fleißigen quell der ambivalenz“ und lässt die gegensätzlichen „empfindungen“ gleichzeitig zu, evoziert sie. darum kann es für mich mehr als experimentelle texte, es bezieht stellung. aber auch mehr als „realpoesie“, denn es stellt widersprüche aus (die ja real sind, weshalb wir diesen begriff von den sog. realisten zurückgewinnen müssen, deren realismus oft so reduktionistisch und im verfahren didaktisch ist), die oszillierend „wahr“ sind. es ist zugleich „hermetisch offen“ und weiß, dass die referenzen, die leser_innen herstellen, also bedeutungen, immer individueller werden, je fragmentierter gesellschaft, vermittlung, erfahrung wird (auch dafür steht adorno, als versuch, überhaupt noch einen kommunizierbaren gemeinsamen nenner zu finden), und antwortet darauf mit seiner eigenen individualität, ins allgemeinste verfahren gebracht, sprache. also ziemlich hilflos und trotzig und erschöpft. das gesetz des utopischen standorts wäre quasi, dass die utopie nur dort aufrechterhalten werden kann, wo nichts interferiert. damit trifft der „inhalt“ die gesamte anlage des gedichts: es ist völlig prekär. darin liegt seine stärke.

    • Tristan Marquardt schreibt:

      Ich funke nur kurz dazwischen, weil ich mir jetzt nicht schon wieder so viel Raum nehmen will, bevor die anderen, vor allem Linus, sich dazu geäußert haben. Mir ist klar, dass das, was du noch viel treffender beschreibst, als ich es könnte, das ist, worauf Linus‘ Text zielt. Mein Problem ist doch nur, dass ich nicht glaube, dass das hier funktioniert. Und das liegt daran, dass ich nicht vom externen konzeptionellen Background des Textes her denke, sondern von möglichen Lesehaltungen, die von ihm selbst ausgehen, also intern. Ich versuche, dem Text nicht von vornherein eine bestimmte Haltung zu attestieren und ihn dann von dort aus nachzuvollziehen. Sondern ich versuche die Bausteine und Verfahren, die der Text bereithält, zu eruieren, und dann zu fragen, ob sie in ihrer Interaktion funktionieren.

      ps: Eine Bemerkung noch zum Begriff des Experimentellen. Ich sehe zwei Möglichkeiten, ihn zu bestimmen. Die erste ist eine feste, begriffliche, wie du sie vollziehst: Experimentell vorzugehen, bedeutet so und so vorzugehen. Die zweite ist eine offene, diskursive, und die hatte ich im Blick: Diese und jene Verfahren waren kennzeichnend für das, was man als „experimentelle Lyrik“ (Wiener Gruppe/Bielefelder Colloquium/Oulipo) sich zu bezeichnen angewöhnt hat, und die finden sich in dieser und jener Form in anderen Texten wieder.

      • Daniela Seel schreibt:

        genau das wollte ich ja in zweifel ziehen, ohne es gleich schon zu bewerten: du, ilja, vielleicht linus seht euch in dieser familie der experimentellen, aber ihr wendet ihre verfahren nicht an. das wäre heute vielleicht die linie des „uncreative writing“. ihr macht vieles, was diese verfahren als „ergebnisse“ gebracht haben, weiter fruchtbar, aber eben ohne ihre methodischen selbstbeschränkungen. weil ihr nicht maschinistisch/automatisch vorgeht, sondern im grunde expressiv. was wiederum viel mit den ganz veränderten parametern unserer durchmedialisierten welt zu tun hat, so mein eindruck, wo die anwendung von diversen verfahren zur textgenerierung sich so weit verbreitet hat, dass sie kaum mehr zu erkenntnissen führt, auch kaum mehr kritisches potenzial hat, sondern im gegenteil eben einfach den textwust vermehrt.

      • Tristan Marquardt schreibt:

        Dann aber sind wir uns einem Punkte doch einig: Ich würde eben gerade behaupten, dass weder das, was ich in meinen Texte versuche zu machen, noch das, was Linus hier macht, einfach in Verfahren des experimentellen Programms aufgehen würde, sprich: dass man es auch nicht einfach in Kritik daran angreifen kann (in Antwort auf Max) oder in Begründung dessen legitimieren kann (in Antwort auf Ilja). Ich würde mitnichten behaupten, ein Teil „dieser Familie der Experimentellen“ zu sein; das gleiche gilt für Linus. Ich würde nur sagen, dass das ein wichtiger Bezugspunkt ist, von dem aus dann aber andere Dinge geschehen. Und dass man danach fragen muss, was da geschieht und ob das funktioniert – und dass ich das bei Linus‘ Text hier eben nicht sehe.

  6. wfs schreibt:

    unter experimentell versteh ich ab jetzt nur mehr ein vorsätzlich verlorenes tetrisspiel – alle semantik- und kontextbausteine, die auf einen niederfallen, auftürmen und dabei schöne lücken lassen.

    p.s. gruß vom grätschfuß.

  7. Ron Winkler schreibt:

    Oh.
    Da meine Gedankengänge vor allem meine Erst-Perzeption des Gedichts begleiteten und ich die Diskussion zunächst nur schnell überscrollte, will ich diesem Modus gleich kurz (gedankengängerisch) weiter folgen, ohne genau auf die Wertschöpfungen durch diesen Thread bzw. Quanti- und Qualitäten der wie erwähnt vorangegangenen Diskussionen oder des Zyklus von Linus einzugehen.
    Dafür fehlt es mir gerade an ausreichend Ichs.
    Es sei zu verstehen nicht als Desinteresse an den Gefeiltheiten des Diskurses, sondern als Interesse an der Qualität des mir attraktiven Triggergedichts, das da weiter oben steht.
    Vieles ist bereits klug behauen oder gar überhaupt »am Gesagtesten«.
    Nehmen wir’s einfach als Bausteine für einen TEXT + KRITIK Band Linus Westheuser (Realpoesiestadt München 2028).
    Well.
    Frappant ist ja zu sehen, dass/ wie dieser Text für euch einiges kulminiert, was in bisherigen Arbeiten von Linus eigentlich viel gegebener ist.
    An »experimentell« hatte ich (anhand des hier isolierten Gedichtes) gar nicht gedacht. Beim Denken über den Einzeltext hinaus komme ich schon eher darauf. Als betreibe Linus eine Art »Villanellität« ohne wörtliche Replizierung des Materials. Der Durchlauf ist dadurch größer, die Geschwindigkeit.
    Wohl weil ich auf Produktionsseite momentan selbst dafür sensibel bin, finde ich in dieser Poetik ein Interesse am Cartoonesken, an der Cartoonierbarkeit des Gedichts. (Eines der Elemente, nicht das Entscheidende vielleicht.) Das Gedicht als graphic poem mit den Mitteln des Ungrafischen. Sekundärvisuell.
    Im Grunde war ich eine Sekunde lang skeptisch angesichts von ADORNO. Doch die Lektüre beruhigte mich, dass er nicht als Aufmerksamkeitsheischer benutzt wird. (Beziehungsweise nur neunziger- bis nullerjahrehaft in all seiner Ambiguität). Geführt von solch einem Pappkameraden fühlte ich mich keiner eventuellen Tiefenverstrickungsabsicht des Autors beraubt.
    Goethe, Shakespeare, Adorno: who cares? Da kann man alles hinein-exegieren, aber es funktioniert strukturell letztlich doch wie bei den Figuren bei Daniil Charms. (Das wäre anders, würde in dem Gedicht ein Diktatorenname stehen. Wohl weil Adorno doch zu sehr Spezialistenwissen ist. Und Spezialistenwissen hat immer auch so einen Spielwiesenspeckrand.)
    Adorno: ein Allod.
    (Ach wie gut, dass jede/r weiß, dass das HIER niemand nachschlagen muss.)
    Prinzipiell austauschbar (doch doch doch!) ― ich kann um »das Adornitische« herumlesen bzw. dem Text ohne Adornogese beikommen. Klar kann an dieser These eine Schmeißkritik den Rüssel ansetzen. Wie auch daran, dass solcherart entspelzt ein marionettoides Subjekt überbleibt: in seiner Kompetenz auf drollige Aktionen minimiert (ähnlich sieht das ja wohl Tristan).
    Doch gerade diese Entmythisierung oder Nullmystifizierung könnte eine Falle sein (by the way nannten meine Großeltern das Bett eine »Falle«) ― Stolperstein für anscheinende wie scheinbare Kenner (»shiny happy« readers, mit R.E.M.)
    Hier, Tristan, würde ich deine Streitfeder [der Text versuche (dreifach), »möglichst unzugänglich zu sein«] nicht aufnehmen wollen. Gerade im Blick auf referenzreiche (wie elisionsreiche) Texte kann man nicht eine/n Generalrezipierende/n behaupten. Adornoianer und Nachschlagbereite lesen anderes in diesem Text als irgendein/e Theodor/a von der Straße oder als ich, im Spektrum irgendwo dazwischen.
    So wie Stolterfoht als Musik interessant sein kann.
    Kognitierbar bleibts doch sowieso, bei Ulf wie hier bei Linus.
    Enthierarchisierung ist für mich, dem die Platonbienen hier scheißegal sind, überhaupt kein Topos. (Gleichwohl vorhanden, yes.)
    Nur noch ein bisschen Getriddel jetzt: Wenn Experiment Nichteineindeutisierbarkeit ist, findet es hier statt. Wäre ein Leichtes, generell. Der »goldene Ball« imagiert auf mich Froschkönig, Kunstmythos oder gar die Schwingungsdämpfungskonstruktion im 101 Tower zu Taipeh). Wie goldig dann, Adorno nicht zu kennen.

  8. Lea Schneider schreibt:

    Oh so vieles (und das meiste davon nicht ganz leicht anschließbar an die Dichte des vorher Geschriebenen).

    Mich interessiert sehr, was vor allem in Max‘ und Danielas Beiträgen anklingt, wozu aber auch Ilja Stellung bezieht: Die Frage nach der Autorität, bzw. nach der autoritären Sprecherhaltung in einem Text (was mit der Frage nach politischer Lyrik zu tun hat, die wir, das glaube ich so setzen zu können, alle nicht (nur) mit einer inhaltlichen Verhandlung explizit politischer Themen gleichsetzen, sondern uns vielmehr fragen: Was ist das, und wie kriegen wir das raus aus dem Muff der 70er?). Dabei kommt mir Max‘ Vorwurf, die Technik der freien Assoziation verhalte sich dem Leser gegenüber gewalttätig, weil sie sein Lesen völlig der Führung durch die arbiträr arbeitende Fantasie des Autors ausliefert, unnötig dramatisierend vor: Ich denke, an dieser Stelle ist es sinnvoll, wenn wir uns mal an ein gesundes Maß Materialismus erinnern. Wir reden hier von Literatur, und nicht z.B. von einer physischen Vergewaltigung – wenn der/die Lesende sich dem Text oder der Fantasie des Autors unangenehm ausgeliefert fühlt, hört er/sie eben auf zu lesen – dann ist es eher ein Problem des Textes, dass er nur eine sehr kleine Zielgruppe erreicht, die das nicht stört bzw. die ähnlich tickt wie sein Autor. Damit will ich NICHT argumentieren, dass Sprachgebrauch nicht hundertprozentig konstitutiv und diskriminierend wirken kann – aber eben schon, dass wir im Auge behalten sollten, dass Literatur und noch mehr zeitgenössische Lyrik, wie es auch Ilja schrieb, einen begrenzten Wirkungskreis hat und nicht unbedingt der beste Austragungsort fürs Politische ist (wobei eben auch, weil alles politisch ist, Lyrik nicht apolitisch ist – mehr dazu gleich).

    Ilja schreibt: „Autorität ist doch letztlich nur in Zusammenhang mit authentischem Ausdruck denkbar.“, und dem stimme ich völlig zu, bloß: Eine Form authentischen Ausdrucks kann ich doch als Rezipientin problemlos in Linus‘ Text lesen! Und genau das tut auch Daniela, wenn sie ihren Zuspruch für die tastende Art der Gedichts beschreibt, für seinen Umgang mit den großen Namen, den großen Erzählungen, der zu fragen scheint: Was soll mir das alles noch? (Ein Zuspruch, den ich absolut übrigens teile!) Gerade das, was den Text interessant und ansprechend macht, ist doch sein implizites Versprechen, eine nicht-abgegriffene Form von authentischem Sprechen zu sein, das eben solche authentischen Aussagen trifft, ohne sich damit in einem abgeklärt-postmodernen Kontext, in dem wir alle Kontingenz rückwärts im Schlaf buchstabieren können, lächerlich zu machen.

    Und damit sind wir bei Danielas Formulierung, „darum kann es für mich mehr als experimentelle texte, es bezieht stellung.“, und damit wiederum bei dem, was Max‘ Kritik am „experimentellen“ Schreiben (und ich glaube, dass dieser Begriff, zumindest für das, worauf ich im folgenden hinaus will und was auch in der Diskussion nach der Freitext-Lesung für mich ein wesentlicher Punkt war, ganz irreführend ist, denn darum ging es letztlich gar nicht, sondern dieses ja eigentlich subversive Verfahren ist nur okkupiert worden von der Haltung, die ich hier kritisieren möchte) eigentlich ausmacht: Nämlich die Kritik an einer durch und durch ironischen Sprecher/Kritiker/Wissenschaftler/Rezipienten-Haltung, die über jede Form des Stellung-Beziehens als lächerlich, modern (und damit veraltet, weil nicht POST-modern) und also sinn- und effektfrei herfällt. Diese Haltung ist aus zwei Gründen schwierig zu kritisieren: Einmal, weil sie mir heute – zumindest im Milieu der deutschsprachigen Lyrikschreibenden, das ein dezidiert akademisches ist – völlig ubiquitär erscheint. Und dann, weil sie ja, zumindest in ihren dekonstruktivistischen Ursprüngen, durchaus einem politisch linken Kontext entstammt (in die Richtung gehen Iljas Hinweise auf eine Diktatur der Semantik, die dann politisch weitergedacht wird), die als Gegenstrategie zu einer komplexen, postmodernen, produktiven Macht viel sinnvoller erscheint als eine „simple“ Autor(itäts)kritik. Meine These wäre aber, dass ein solches dekonstruktives Vorgehen beim Schreiben von Texten – seien sie wissenschaftlich oder literarisch – tatsächlich zu einer völligen Entpolitisierung führt: Alles ist potenziell mehrdeutig, jede Haltung, die eingenommen wird, ist eine ironisch gebrochene, es kann kein_e Sprecher_in mehr ausgemacht werden, der_die verantwortlich wäre für das Geschriebene – und das ganze geht einher mit einem strukturellen Zwang, sich an dieser ironisierten Haltung zu beteiligen, um als Schreibende_r wahrgenommen zu werden, nicht lächerlich oder antiquiert zu erscheinen.

    Was wäre die Antwort auf diese Entpolitisierung durch eine ursprünglich einmal subversiv gedachte Technik? Bei Max‘ Ansatz, den ich hier einmal vereinfachend als einen eher inhatlich orientierten charakterisieren würde, habe ich manchmal die Sorge, dass er eher einen Atavismus darstellt als einen Schritt der Überwindung und des Wieder-Produktivwerdens. Wie aber sonst in einem postmodernen Kontext noch Sinn erzeugen, Texte schreiben, für die man als Autor_in nach dem Tod des_derselben verantwortlich zeichnet, ohne diesen Kontext zu verleugnen? Was mich dabei auch sehr interessieren würde, ist Iljas Verweis auf das Performative experimenteller (wie auch immer das definiert sein mag) Texte als möglicher Ausweg aus einem autoritären Sprechen (und vielleicht auch als Möglichkeit, nicht nur im klassischen Sinne experimentelle Texte als solche fruchtbar zu machen?) – ein konkretes Beispiel in die Richtung fände ich toll, weil ich mir so richtig noch nichts darunter vorstellen kann.

    An der Stelle schließe ich mal ab, weil ich merke, dass ich in zu viele Verästelungen gleichzeitig hinein denke und parallel anfange, meine BA-Arbeit zu zitieren. Schön wäre, wenn ihr diese Fragmente weiterdenken mögt :)

    (PS: All dies soll bitte nicht gelesen werden als eine Absage an die wunderbare Stilform der Ironie per se, sondern an ihre Überhöhung als Ideologie, auf der jedes postmoderne Schreiben zu basieren hat.)

  9. Max Czollek schreibt:

    vorab eine kurze bermerkung zum begriff „experimentell“: wenn ich von „experimentell“ oder „experimentellen verfahren“ schreibe, dann meine ich damit wie tristan eine tradition, die an historisch verortbare gruppierungen und deren programmatik anschließen. damit fällt danielas experimentbegriff, den ich als „eng“ bezeichnen würde, raus. ich stimme ihr völlig zu, dass es sich dann in keinem fall um experimentelle texte handelt. als gegenbegriff verwende ich hier, vermutlich polemisch, den begriff „konventionell“, womit ich verfahren meine, die intentionalistisch, d.h. bewusst politische oder historische anknüpfungspunkte generieren.

    beim durchlesen obiger kommentare werde ich den eindruck nicht los, dass die diskussion auf einem gewissen misverständnis beruht. an keiner stelle ging es mir darum, experimentelle verfahren zu deklassieren. worauf ich antworte, ist iljas haltung, die dem experimentellen offensichtlich einen höheren normativen wert zuspricht. dieser haltung, die sein kommentar ja noch einmal unterstrichen hat, stimme ich nicht zu. vielmehr behaupte ich, dass experimentelle verfahren sich in eben solchen kreisläufen verfangen, wie es auch konventionelle verfahren tun; also machtwirkung, reproduktion, historische verortbarkeit, voraussetzungshaftigkeit bei der lektüre usw.
    indem ich diesen punkt unterstreiche, will ich „experimentelle“ und „konventionelle“ verfahren nicht gleich machen. vielmehr sind beide sehr unterschiedlich in der hinsicht, wie sie produktiv werden. daher denke ich, dass beide verfahren für unterschiedliche absichten sinnvoll sind.
    wenn ich diese einsicht nun mit der von tristan und lea ebenfalls unterstrichenen fixierung gegenwärtiger lyrik auf jene – übrigens nur partiell rezipierte – experimentelle tradition kombiniere, dann scheint mir diese theoretisch mögliche pluralität unterschiedlicher ansätze auf eine ungute weise in den hintergrund zu treten. mit lea würde ich noch einmal unterstreichen, dass es sich hierbei nicht mehr nur um eine schreibinterne notwendigkeit handelt, sondern dass die anknüpfung an diese und nicht eine andere historisch gewordene schreibtradition gegenwärtig ubiquitär geworden ist. soziologisch gesprochen besitzt die bezugnahme auf experimentelle verfahren eine gruppenstärkende und -erzeugende funktion. als solche dient diese bezugnahme auch als instrument zur bestimmung von in- und outgroup. ob ich nun will oder nicht ist diese, ja, diskriminierende funktionalisierung experimenteller verfahren innerhalb des lyrischen feldes nicht unterheblich für mich, wenn ich mich frage, auf welche traditionen ich mich beziehe und in welche peer-groups ich mich damit einordnen will.

    zurück zu dem punkt, dass es sich bei texten stets um ein mischungsverhältnis unterschiedlicher verfahren handelt (so ähnlich hatte ich auch daniela verstanden). außerhalb sozialer konventionen oder vorab erfolgter normativer setzungen wären folgende fragen interessant: was braucht der text? welche verfahren helfen dabei, das zu erreichen? was passiert dann beim rezipierenden bzw. beim autor? (eine kritik an linus‘ text war ja, dass absicht und mittel nicht zusammengehen). es scheint bei ilja durchaus angelegt, die frage nach dem richtigen schreiben im vorhinein zu beantworten. und zwar mit dem deutlichen credo für experimentelle verfahren. als wäre es nicht so, dass alle gegenwärtigen texte, zumindest bei G13, die einen oder anderen experimentellen verfahren bereits inkorporieren. interessant ist dann doch die frage, warum einige texte als „experimentell“ und anderen als „atavistisch“ bezeichnet werden („atavismus“ = „das wiederauftreten von merkmalen der vorfahren“, welches doch experimentelle verfahren nicht minder darstellen als inhaltlich operierende). handelt es sich also doch um eine konvention? eine art ästhetischem bestätigungsbedürfnis, welches der andere text zu erfüllen hätte?

    zu guter letzt eine anmerkung zu iljas polemik gegen eine inhaltlich operierende lyrik: die kritik, dass jegliche inhaltlich operierende lyrik die funktionsweisen der großen erzählung reproduziere, ist ein gutes beispiel dafür, wie wir uns gegenseitig mundtot machen könnten. ich müsse dafür im gegenzug nur das elitäre am verfahrensorientierten schreiben hervorheben, um mich zum verfechter einer einfach, für alle verständlichen sprache zu erklären. schon hätten wir eine historische politische pattsituation, die ungefähr auf das anarchistische szenario von iljas letzter analogie verweist: kommunisten gegen anarchisten, spontis gegen trotzkisten, antideutsche gegen antiimps… (ja, das ganze kommt wirklich aus der linken, lea hats gesagt, und es zieht einfach weiter die ewig gleichen kreise).
    ein anderer, etwas gutmütigerer und weniger bellizistischer ansatz wäre es, in beiden fällen auf das zu achten, wofür sich die verfahren eignen, anstatt auf das, wofür sie sich nicht eignen. das ist im falle bestimmter texte von mir die konzentration auf eine gegenerzählung, das benennen verschwiegener und verdrängter bewusstseinsinhalte, assoziationen, ängsten und geschichten. im falle von iljas lyrik ist es dann eine vermessung der produktionsmechanismen von diesen geschichten. das kann sich ergänzen. das ist aber nicht das gleiche. und es birgt jeweils ganz eigene probleme.

  10. Pingback: Poetische Wahlverwandtschaften: Ulf Stolterfoht & Max Czollek « G13: elektrolyrik/luftpost

  11. Helene Könau schreibt:

    ohne mir den ganzen schwanz hier durch die nase zu ziehen: super! ich weiss wieder, warum ich lyrik mag. unglaublich lustig und tanz und flirt mit messers scheide und doch so wahr. und: ich mags und es „rings ganz viele bells“ (und reicht erdnuesse dazu! 1a) :) klingeling vom Ganges

  12. Tristan Marquardt schreibt:

    (Linus‘ über die konkrete Diskussion hinausgehende Antwort findet sich hier: https://gdreizehn.com/2012/12/06/gedanken-zu-politik-und-lyrik/)

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